Begegnungen in einem vergessenen Land

Mit Bahn und Bus durch Myanmar

Text und Fotos: Heike Baldauf

Birma, Burma, Myanmar, drei Namen für einen Staat. Myanmar bedeutet eigentlich "Ende des Streits". Angesichts eines Militärregimes, das Massenproteste blutig niederschlägt und die Führerin der Opposition, Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, nach wie vor unter Hausarrest stellt, ist ein Ende der Diktatur nicht abzusehen. Die Meinungen gehen auseinander auf die Frage, ob wachsender Tourismus nicht als Signal für die Akzeptanz der Politik der Regierung verstanden werden könnte. Nach jahrzehntelanger Isolation profitiert vor allem das einfache Volk von Kontakten zu Touristen aus aller Welt.

Myanmar Gebet

"T-Shirt? Shampoo?" Große Augen schauen uns fragend an. Sie gehören einem Jungen, höchstens sechs, barfuß. Ein kleines Mädchen kommt herbei gerannt, deutet mit dem linken Zeigefinger auf ihre rechte Handinnenfläche. Zeichensprache, sie will Geld. Auf ihrem Gesicht liegt ein verschmitztes Lächeln. Ihre Wangen schmückt ein Blattabdruck, gewonnen aus einer Rindenpaste des Thanaka-Baumes.

Myanmar Mädchen

Geschmückt und geschützt mit der Rindenpaste des Tanaka-Baumes

Wir haben kein T-Shirt. Auch kein Shampoo. Aber Buntstifte. Die Kinder auf dem Bahnhof in der Hauptstadt Yangon fangen sie auf. Als der Zug, in dem wir sitzen, anruckt, versuchen sie, nebenher zu laufen, hüpfen, lachen und winken.

Wir sind unterwegs nach Thazi in Mittelburma. Ein Haufen verrückter Deutscher, wie wir zu Hause von unseren Freunden betitelt wurden. Was uns nur treibe an einen Ort zu fahren, wo die Armee überall präsent, das Reisen kein Vergnügen sei, und der überhaupt hinterm Mond liege. Nun, im Zug fühlen wir uns wie auf einem Pferderücken. Es geht hoch und runter, und hoch und runter - die Schienen gehören ins Museum. Wir fallen weich in zerschlissene, aber bequeme Sessel. Spinnweben an der Decke scheinen die Ventilatoren festzuhalten.

Myanmar Kinder am Wegesrand

Begegnung am Wegesrand: burmesische Kinder

Die Wagen der zweiten Klasse stammen wohl noch aus einer Zeit, als der Aufenthalt für Ausländer in Burma auf sieben Tage beschränkt war. Als jeder Fremde schon an einer bestimmten Zigarettenmarke zu erkennen war, die er päckchenweise durch den Zoll schmuggelte, um sie auf dem Schwarzmarkt gegen Bares einzutauschen. Das ist zwanzig Jahre her.

Jeder will etwas verkaufen

Am Fenster zieht das morgendliche Yangon vorbei. Zwischen Bambushütten und Hochhäusern raucht ein offenes Feuer für das warme Frühstück. Vor einer Schule stehen Kinder stramm zum Fahnenappell, irgendwo bellt ein Hund. Frauen balancieren Körbe mit frisch gepflückten Früchten auf dem Kopf zum Markt.

Myanmar Obstverkauf

Obstverkauf sogar im Fluss

Wie ein Film flimmert diese Welt da draußen über eine unsichtbare Leinwand - und wir sind die Zuschauer. Nach ein paar Stunden ein Halt in einem Bahnhof, dessen Namen wir nicht lesen können. Burmesische Schriftzeichen bestehen aus Kreisen und Kringeln, so als hätte ein Dreikäsehoch Rauch über einen Schornstein gemalt.

Ein Wald von Armen bewegt sich vor unserem Abteil. Jeder will etwas verkaufen: Trinkwasser aus einem Blechnapf, kleine, schmackhafte Bananen, eierkuchengroße Chips, eisgekühlte Tücher. Ein Lächeln, viele Gesten - leicht verständlich ist die Körpersprache. Für ein paar Kyat nehmen wir Tücher und Wasser, aber noch verschlossen in einer Plastikflasche.

Myanmar Boot auf dem Inle See

Abendliche Heimfahrt auf dem Inle-See

Als der Zug am Abend in Thazi, einem Verkehrsknotenpunkt zwischen Nord und Süd, Ost und West einfährt, bricht das Chaos aus. Im Halbdunkel finden wir uns plötzlich zwischen schlafenden Menschen wieder, die sich am Bahnsteig zur Ruhe gelegt haben. Wir bangen um unsere Koffer, die wir erst einmal abstellen müssen, weil kein Durchkommen ist. Rufe, Hektik - der Zug fährt noch weiter. Beschämt stellen wir fest, dass uns ein alter Mann nur behilflich sein und sich nicht etwa aus dem Staub machen wollte, als er zwei unserer Rucksäcke schulterte.

Myanmar Inle-See

Am Inle-See leben die Menschen vom Fischfang

Ein Uniformierter mit Rangabzeichen, der das beobachtete, herrschte ihn an, als sei er König Thibaw selbst, der bis 1886 das Land regierte. Verschwitzt von der anstrengenden Tour stolpern wir im Gänsemarsch über Bahngleise zu einem alten Bus chinesischer Herkunft. Er wird uns in die Berge bringen.

Teeblattsalat mit gerösteten Erdnüssen

Hier sind die Shan zu Hause, eine von 135 Ethnien in Myanmar. Sie sind bekannt für ihr Talent zum Handeln, aber auch als hervorragende Ackerbauern, Viehzüchter und Handwerker. Ihre praktischen Umhängetaschen mit farbenfrohen gewebten Mustern werden im ganzen Land getragen. Wir begegnen den Frauen auf unserer Wanderung in ausgewaschenen trockenen Flussbetten, auf schmalen Pfaden zwischen zitronengelben Sesamfeldern, entlang von Teeplantagen, an Berghängen, gesäumt von blühenden Flammenbäumen. Kilometerweit schleppen sie in Kiepen Waren zum Markt in der Ebene - vom 50-Kilo-Sack Reis bis hin zu Blumen, die sie in der Nähe ihrer Häuser anbauen.

Myanmar Frauen am Fluss

Große Wäsche am Fluss

Bei einer Rast in einem Shan-Haus nehmen wir unbeholfen an einem Tisch Platz, nicht höher als eine Fußbank. Wohin mit unseren Beinen, anwinkeln, hinhocken, unter die Tischplatte? Zwei Frauen, das lange Haar versteckt unter einem Turban aus Stoff, servieren regionale Köstlichkeiten. Letztendlich im Schneidersitz lassen wir uns Teeblattsalat mit gerösteten Erdnüssen schmecken, dazu eingelegte Mango und Senfblattgemüse in einer köstlichen Kartoffelsuppe. Als Nachtisch gibt es Sesamcracker - die Shan naschen gern.

Im Badezimmer der Mönche

Noch vor dem Morgengrauen werden einige von uns munter. Irgendwo schnarcht jemand. Eingerollt in unsere Schlafsäcke liegen wir auf dicken Baumwollmatten im Gebetssaal. An Seilen aufgehängte Stoffbahnen trennen optisch den Raum für Frauen und Männer.

Myanmar Bagan

Bagan: 2000 Tempel zeugen von einer Hochkultur

Wir sind in einem Kloster, 1.800 Meter über dem Meeresspiegel. Ringsum bewaldete, teils gerodete Bergketten, dazwischen kleine Weiler, einige Dörfer, Felder, unbefestigte Wege, keine Straßen. Die Menschen hier leben ohne Strom, Wasser gibt es nur aus dem nahen Bach.

Myanmar Morgengebet

Ein Mönch beim Morgengebet

Wir gehen duschen. Das Wasser ist kalt, es kommt aus einem Trog, nur umgeben von einer Mauer mit Tür ohne Dach. Das ist das Badezimmer der Mönche. Der noch junge Abt ist schon auf den Beinen. Er schlägt den Weg zu einer kleinen Pagode ein. Sie steht auf einem nahen Hügel. Wir nehmen an, dass der Abt sein Morgengebet verrichten will und folgen ihm mit gebührendem Abstand. Oben angekommen, steht er mit dem Rücken zu uns. Vor Kälte hat er sein orangefarbenes Gewand bis über den Kopf gezogen. Dann bemerkt er uns, dreht sich um - und lächelt spitzbübisch. Mit einem Ohr hängt er an einem Transistorradio. Burma liegt doch nicht hinterm Mond.

Mit der Rolltreppe zum Buddha

Burmas berühmteste Pagode - die Shwedagon: Ihr Leuchten begleitet uns bereits nach der Landung in der Hauptstadt Yangon. Auf der Fahrt zum Hotel spiegelt sich der über und über mit Gold und Edelsteinen verzierte fast hundert Meter hohe Stupa im Wasser des Royal Lake, des Königlichen Sees. Erbaut auf einem grünen Hügel im Zentrum der fünf Millionen Metropole, schlägt hier das Herz des religiösen Lebens. Kein Ort, den wir während der Reise besuchten, hatte diese Ausstrahlung von Ruhe, Gelassenheit, spiritueller Nähe.

Myanmar  Shwedagon-Pagode

Blick auf Shwedagon-Pagode

Wir nehmen einen von vier möglichen Wegen in das Innere der Anlage, den Westaufgang. Barfuß, wie es der Respekt vor Buddha verlangt, fahren wir mit einer Rolltreppe hinauf ins Nirgendwo. Die sich bewegenden Stufen sind die einzigen ihrer Art in ganz Burma. Viele Besucher, die von den Dörfern hierher kommen, haben eine derartige Konstruktion noch nie gesehen. Sie staunen über die Technik und trauen sich nicht, das Wunderwerk zu betreten. Lieber nehmen sie die daneben liegenden 166 Absätze aus Stein. Darüber schritt schon Königin Shinsawbu im fünfzehnten Jahrhundert, in dem die Shwedagon ihren Ursprung hat.

Myanmar Pagode

Pilger in der Shwedagon

Oben angelangt, empfängt uns eine fremdartige farbenprächtige Welt. Die Abendsonne taucht unzählige vergoldete Stupas in gleißendes Licht. Der Marmor unter unseren Füßen ist noch warm vom Tag. Vögel überfliegen zwitschernd das goldene Plateau. Mönche in orangefarbenen Gewändern scheinen an uns vorbei zu schweben. Paare, Familien, junge Frauen, alte Menschen knien vor großen und kleinen Pagoden, die Hände aneinander gefaltet. Ihre Füße haben sie unter dem Longyis versteckt, dem traditionellen Wickelrock der Burmesen, den auch die Männer tragen. Sie sind im Gebet versunken. Einige flüstern bei geschlossenen Augen, einige bewegen lautlos die Lippen. Es scheint, als haben sie mit den Schuhen, die sie vor der Pagode abstreiften, den Alltag zurück gelassen.

Myanmar Studentinnen

 

Reiseinformationen

Pauschalangebot:
Geführte Touren mit Kontakt zu den Bergvölkern und Besuch touristischer Highlights wie Inle-See, Bagan und Mandalay unternimmt Wikinger Reisen in Hagen. Termine von Oktober bis März. www.wikinger.de.

Visum:
Botschaft der Union von Myanmar, Thileallee 19, 14195 Berlin Tel. 030-20 61 57 0 visa@botschaft-myanmar.de

Gesundheit:
Empfehlenswert ist Impfschutz gegen Diphtherie, Tetanus und Hepatitis A. Unterhalb von 1000 Metern besteht Malariarisiko

Beste Reisezeit:
Das ganze Jahr herrscht Monsunklima. Die kühleren Monate liegen im November bis Februar. Dann ist es landesweit sonnig und trocken, tags warm, in der Nacht vor allem in den Bergen kühl bis Null Grad

Sprache:
Die Amtssprache ist Burmesisch mit mehr als hundert Dialekten. Englisch hat durch die koloniale Vergangenheit des Landes als Handelssprache seine Bedeutung und wird vor allem von jungen Leuten in den Städten verstanden

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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