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Aufbruch zu neuen Ufern
Suriname: Im kleinsten Land Südamerikas die Flüsse und Küsten entlang

Teil 2: Auf dem Suriname River zu den Maroonen-Dörfern im Regenwald

Text und Foto: Hilke Maunder

Suriname - Brokopondo - Staudamm

Immer weiter weicht die Zivilisation zurück. Nach zwei Stunden Fahrt endet das Asphaltband auf einer Gitter-Brücke mit Blick auf eine 54 m hohe Wand aus Beton, die seit 1964 auf 1.913 Meter den Suriname River zum „Stuwmeer“ (3) staut, wie die Einheimischen das Megaprojekt nennen, das die Politik gegen die Willen der Einheimischen als Tribut an die Wirtschaft errichtet hat. Brokopondo Reservoir, oder auch Blommesteinsee, heißt die Wasserfläche offiziell, die mit 1.500 Quadratkilometern drei Mal so groß wie der Bodensee ist – und damit zu den größten Talsperren der Welt gehört. Um Strom für die Verarbeitung von Bauxit zu Tonerde als Rohstoff für die Aluminiumherstellung in der Hütte der Suriname Aluminium Company (Suralco) bei Paramaribo zu gewinnen, waren 1964/65 insgesamt 29 Dörfer geflutet und 6.000 Menschen in neue Siedlungen wie Brownsweg, Klaaskreek, Nieuw Lombè und Nieuw Koffiekamp umgesiedelt worden. Für die Tierwelt wurde die Operation Gwamba durchgeführt – dennoch verwesen bis heute noch Hunderttausende Kadaver am Grund des Sees, dessen Wasser zu Beginn der Überflutung glasklar war. Und keine trübe Suppe wie heute. „Das liegt an der Umweltverschmutzung durch den Goldabbau. Der hat unser Trinkwasser mit Quecksilber verseucht“, erzählt mir Kapitain Raamon Baabo, der Bürgermeister von Lebi Doti, einem Inseldorf im See. Das einzige, was sich in den letzten 20 Jahren positiv verändert habe, sei, dass es nun Mobiltelefonie gäbe – und eine Stromversorgung. „Wenn wir genügend Geld in der Kasse haben, um Diesel für den Generator zu kaufen“, sagt Baabo.

Suriname - traditionelle Holzhäuser im Inseldorf Lebi Doti
Traditionelle Holzhäuser im Inseldorf Lebi Doti

Als äußerst lukrativ erweisen sich jedoch die Baumstämme der Urwaldriesen, die einst geflutet wurden und heute mit bizarr erodierten Stämmen und Kronen die Seeoberfläche schmücken. Ihr Holz ernten seit 2004 Unterwasserholzfäller. Durch die lange Lagerung im Wasser ist es qualitativ wertvoller als frisch geschlagene Bäume. Die Arbeiter der Brokopondo Watra Woods International N.V.(BWWI) fällen in Tiefen von bis zu 35 Meter mit Pressluft-Kettensägen vor allem Baum-Exoten wie "Purple Heart" oder "Andira“. Zehn Millionen Kubikmeter lagern davon unter Wasser. In Sägewerken am Ufer wird das Holz weiter verarbeitet, dann auf Lastern in die Hauptstadt Paramaribo transportiert. Die unterseeischen Ernten spülen nicht nur Geld in die Kassen der Kommunen am See, sondern beugen auch einer weiteren Umweltkatastrophe vor. Beim Verrotten würde das Stauseeholz in einigen Jahrzehnten Unmengen klimaschädlicher Gase wie Methan bilden.

Suriname - Brokopondo - versunkener Regenwald

Wo weiter im Süden der Suriname River den Stausee verlässt, werden Koffer und Kisten, Waschmaschinen, Tische und Stühle in schmale Langboote verladen: Atjoni (4) ist das Drehkreuz für „Boven Suriname“. Weiter hinein ins Landesinnere geht es nur mit Booten aus ausgehöhlten Baumstämmen, wendigen „Koreals“, die in leuchtendem Rot, Gelb und Hellblau dicht an dicht auf dem sandigen Flussufer lagern, mit vereinter Hilfe in den Fluss geschoben werden und dann gemächlich flussaufwärts tuckern: im Heck ein Rudergänger, der den Außenborder steuert, auf der Bugspitze ein Spähposten. „Die Granitfelsen, die so malerisch die Ufer säumen, verblocken den ganzen Fluss“, erzählt mein Tourguide Marcel Chandoesing. „Je nach Wasserstand liegen sie mal tiefer, mal dichter unter der Wasseroberfläche – und könnten, wenn wir dagegen fahren, nicht nur unsere Schraube zerstören, sondern das gesamte Boot“. Seine Handzeichen geben den Kurs vor. Selbst bei Nacht erkennt Marcel die gefährlichen Felsen. „Ich höre, wie das Wasser fließt.“ Zwei Jahre lang muss ein Koreal-Kapitän als helfende Hand mitgefahren sein, ehe er selbst ein Boot steuern darf.

Suriname - Atjoni - Boote aus ausgehöhlten Baumstämmen, wendige „Koreals“

Dicht säumt Regenwald die Ufer. Mal ragen Palmen schlank aus der Sinfonie in Grün, dann die blätterlose Krone eines Can-Can-Trees. Zwischen Mangrovenwurzeln sollen sich Kaimane verstecken – entdeckt habe ich keinen. Dann springen plötzlich Jungen in kunstvollen Salti in den Fluss, und Frauen mit großkarierten Tüchern um die Hüften waschen ihre Wäsche im Fluss. Einige sind barbusig, andere tragen bunte BHs, in denen Mobiltelefone stecken.

Eine Treppe führt einen kleinen sandigen Steilhang hinauf zum Eingang des Dorfes, wo ein Asamapaw-Vorhang aus Palmwedeln böse Geister von Bewohnern und Besuchern streift. Den Dorfrand säumen Männerhäuser, kleine Hütten aus Holz, mit Spitzdächern wie Zelte, gerade groß genug zum Schlafen. Das Dorfzentrum dominieren die Frauenhäuser, geräumige Holzbauten mit hohen Regalen an den Wänden, in denen Hab und Gut hinter Holzstangen gestapelt wird: Topfdeckel neben Messer und Gabel, Hemd neben Pfanne, Buch neben Brett.

Suriname - Goejaba - Dorfchef Kapitän Baney Asondanoe mit Frau und Freund
Dorfchef Kapitän Baney Asondanoe mit Frau und Freund

„Bei uns leben Paare nicht zusammen. Und der Mann darf sogar mehrere Frauen haben – so lange er sie auch gut versorgen kann: mit einem Haus, einem Boot und gutem Essen“, erzählt Baney Asondanoe, der Kapitain von Goejaba, und posiert mit gleich vier Frauen im Regenwald, während er am Handy telefoniert. Seitdem Digicel 2011 entlang des Suriname River Mobilfunkmasten aufstellte, ist 4G in den Dörfern Standard – solange es Strom zum Auflagen der Geräte gibt....

Suriname - Goejaba - Zubereitung von Cassava-Brot
Zubereitung von Cassava-Brot

Der Spagat zwischen den Statussymbolen der Moderne, zu denen auch die glitzernden und grellbunten T-Shirts von Disney, Hollister oder Traumzielen wie New York gehören, und dem Leben im Rhythmus von einst gelingt den Maroonen anscheinend mühelos. Vor den Holzhütten mit reich beschnitzten Türen reiben Frauen Maniokwurzeln klein, pressen in geflochtenen Manatee-Röhren den Saft aus den Wurzelschnitzeln, stampfen sie mit großen Mörser zu feinem Mehl und geben es auf rund Backbleche über dem offenen Feuer. Mit dem Finger wird ein Muster gemalt. Wenige Minuten später ist das Cassava-Brot fertig – und trocknet auf dem Wellblechdach in der Sonne. Eine Szene aus Botopasi (5), wie sie sich auch in Goejaba, Dan oder den anderen Dörfern am Fluss seit Jahrhunderten hundertfach wiederholt. Mitten im südamerikanischen Urwald haben die Nachfahren der Sklaven aus Ghana, Benin, Togo und Angola, denen die Flucht von den Plantagen gelungen war, ihre westafrikanische Kultur bewahrt. „boes’ nengre“ („Buschneger“) nennen sie sich selbst, und legen Wert auf diese Bezeichnung. Da aber die Political Correctness längst auch Suriname erobert hat, wird heute von allen anderen nur noch der französische Begriff „marrons“, deutsch „Marronen oder „Maroonen“, verwendet. Das intakte afrikanisches Stammesleben mit ihrer Animismus- und Winti-Religion lockte auch die berühmteste niederländische Modefotografin in den Busch: Viviane Sassen. 2012 besuchte sie die „Buschneger“ von Pikin Slee, die mehrheitlich zum Maroonen-Stamm der Saramaccaner gehören, und fotografierte das Leben der Dorfbewohner. Herausgekommen sind keine Portraits, sondern Detailaufnahmen und Impressionen, streng komponierten wie poetischen Schwarz-Weiß-Fotografien.

Suriname - Goejaba - Saramaccaner-Frauen am Fluss
Saramaccaner-Frauen

In einer Wellblechhalle gegenüber von kleinen Feldern, auf denen Maniok angebaut wird, dringt lautes Hämmern und Klopfen. Edje, Will Go, Nbentini und Sankys Doelha, vier Männer mit Dreadlocks und Karibik-Kluft, fertigen aus Groenhart-Holz kunstvoll verzierte Stühle, Tische und Türen. Auf einem kleinen Tresen bieten sie handgeschnitzte Kämme und Löffel feil. Totemboti, „Holzspecht“, nennt sich die Künstlerkooperative, die die Volkskunst der Saramaccener lebendig halten will und dazu 2008 das Saamaka-Museum eröffnete, nur wenige Schritte von ihrer Rastafari-Werkstatt entfernt.

Suriname Holzschnitzerei in der Rastafari Kunstkooperative

Weiter den Fluss hinauf, hin zu den ersten „Sulas“, Stromschnellen, die immer wieder das stille Gleiten auf dem Fluss mit Adrenalinkicks und Action unterbrechen. In voller Montur springt Marcel aus dem Boot, steht im Fluss, schiebt und dirigiert das Kanu durch die Strudel. Bei Botopasi ist der Wasserstand zu niedrig: alle Passagiere bitte aussteigen! Wenige hundert Meter flussaufwärts klettern sie lachend zurück ins Boot. Langsam geht der Tag zu Neige. Im Licht der tief stehenden Sonne leuchten die Granitfelsen rosa, orange und tiefrot. Auf der Spitze einer Fluss-Insel taucht ein verwittertes Holzschild auf: Danpaati Lodge. Ihre elf Hütten mit Blick auf den Fluss oder den Regenwald bilden die luxuriöseste Bleibe der 22 Unterkünfte, die zum Lodge-Hopping am Suriname River einladen – von Bakaaboto, Lobi Lafu, Dantabai und Kwaikwai, die sich noch nördlich von Atjoni befinden, bis zum Beginn des Suriname River am Zusammenfluss von Pikin Rio und Gran Rio bei Godo mit den drei Lodges Apiapaati, Pingpe und Kumalu. Noch tiefer im Dschungel versteckt sich die Kosindo River Lodge (6) – tiefer hinein kann man in den Regenwald von Suriname nicht vordringen.

Suriname - Stromschnellen bei Botopasi

Reiseinformationen zu Suriname

Anreise

Surinam Airways (www.flyslm.com) und KLM (www.klm.com) jetten von Amsterdam-Schiphol in rund neun Stunden nach Paramaribo. Der internationale Johan Adolf Pengel Airport liegt 48 km südwestlich; für Inlandsflüge ist der Zorg en Hoop Airport zuständig, drei Kilometer südwestlich von Paramaribo. Le Grand Baldew pendelt in kurzen Intervallen zwischen Flughafen und Hotels sowie Touristenzentren (einfach Fahrt: US$ 15 oder SRD 50); Fahrzeit: ca. eine Stunde.

Einreise

Reisepass + Tourist Card, bei der Ankunft für eine Einreise erhältlich (20 Euro)

Elektrizität

Die Stromspannung beträgt wie in Deutschland 220 Volt; Zweistiftstecker sind Standard – aber nur fast überall. Daher empfiehlt sich dennoch die Mitnahme eines Adapters. Oder von Solarladegeräten für Handy & Co.

Feiertage

Holi Phagwa: 27. März, Karfreitag - Ostermontag, Tag der Arbeit: 1. Mai, Gedenktag zur Abschaffung der Sklaverei: 1. Juli, Id al-Fitr (Ende des Ramadans): 9. Aug., Id al-Adha: 15. Oktober, Divali: 3. November, Unabhängigkeitstag: 25. November, Weihnachten: 25./26. Dezember, Neujahr: 1. Januar.

Gesundheit

Nach Angaben des surinamischen Gesundheitsamtes und Einheimischen vor Ort ist Suriname seit 2005 malariafrei. Beim Tropeninstitut gilt das Land dennoch als Hochrisikogebiet. Wer Malarone nicht präventiv schlucken möchte, sollte es als Notfallpräparat mitnehmen. Der beste Schutz vor Mückenstichen, die neben Malaria (abends) auch Dengue- und Chikungunyafieber (tagsüber) übertragen können, ist lange, luftige Kleidung und ein guter Mückenschutz, zum Beispiel von No Bite. Wie überall in den Tropen gilt: Was nicht geschält, gekocht oder durchgebraten werden kann, wird nicht genossen. Tipp: Desinfektionstücher für Mahlzeiten unterwegs. Vom Genuss des Trinkwassers wird abgeraten. Empfohlen wird eine Impfung gegen Hepatitis A+B sowie Impfschutz für Typhus.

Klima

Surinames Klima ist ganzjährig tropisch, und damit heiß und nass. Die Tagestemperaturen sinken selten unter 25°C sinken, 30°C sind die Norm. Die zwei Regenzeiten reichen von März bis Juli und von Dezember bis Januar. Die trockensten Monate sind September und Oktober. Die Regenmengen steigen von der Küste (1.500 mm) ins Landesinnere (3.000 mmm) deutlich an.

Von mir getestete Veranstalter und Guides vor Ort

www.discoversuriname.com
www.oetsi-tours.com
www.galibi-tours.com
www.upper-suriname.com
www.waterproofsuriname.com

Unterkünfte

Torarica Hotel, 1, Rietbergplein, Paramaribo, Tel. +597 471 500, www.torarica.com. Seit 50 Jahren die erste Adresse im Stadtzentrum; 132 Zimmer, Pool, Restaurant und Kasino.

Courtyard by Marriott, Anton Drachtenweg 52-54, Paramaribo, Tel. +597 456-000, www.marriott.com.

Modern eingerichtetes Kettenhotel mit geräumigen Zimmern, Pool, Fitnessraum und Bar

Myrysji Lodge, Christiaankondre/Galibi. Einfache Ökolodge mit zwölf Zimmern. Buchung über: Myrysji Tours, Griegstraat 41, Paramaribo, Tel. +(579) 45 66 11, http://myrysji.weblocher.com

Frederiksdorp, Frederiksdorp Commewijne, Tel: +597 453 083, www.frederiksdorp.com. Sechs Gästewohnungen auf einer historischen Plantage am Commewijne River. Tipp: Delfin-Spotting-Touren!

Zeit

MEZ -4 Std., während der Sommerzeit -3 Std. In Surinam geht die Sonne ganzjährig kurz vor sechs Uhr auf und abends kurz nach sechs unter.

Weiterlesen

John Gimlette, Wilde Küste, DuMont, 16,99 €.

Zwischen Orinoco und Amazonas liegt im Nordosten Südamerikas das „Land der vielen Wasser“: die Guyanas – Guyana, Suriname und Französisch-Guyana. John Gimlette hat die neunhundert Kilometer lange Sumpfküste und ihr wildes Hinterland durchstreift und seine Erfahrungen, Eindrücke und Ausflüge in die Geschichte als 489 Seiten dickes, packendes Reiseabenteuer verpackt. Unbedingt lesenswert – als gedrucktes Werk oder E-Book! http://shop.dumontreise.de

Footprint Travel Guides, Guyana, Guyane, and Suriname, . Der einzige aktuelle – und erhältliche – Reiseführer auf dem Markt. Als gedrucktes Werk oder PDF-Download nach Kapiteln, www.footprinttravelguides.com

Bernhard Conrad, Suriname, edition aragon, 39,90 € Das bislang einzige Buch in deutscher Sprache über die ehemalige niederländische Kolonie, 2011 verlegt, ist leider derzeit vergriffen. Tipp: gebraucht bei Amazon!

Cynthia Henri McLeod, Die Schwestern von Suriname. Basteil-Lübbe 1998. Antiquarisch bei Amazon zu unterschiedlichen Preisen. Historischer Roman der berühmtesten Schriftstellerin und Geschichten-Erzählerin von Suriname.

Viviane Sassen: Pikin Slee. Prestel, 2014, 39,95 €. Bildband der renommierten Amsterdamer Modefotografin, die im Regenwald ein Maronendorf eindrucksvoll festhielt – in 33 Schwarzweiß- und 66 Farbfotografien.

Auskunft

Suriname Tourism Foundation, Dr. J.F. Nassylaan 2, Paramaribo, Tel. +597 422-916, www.surinametourism.sr

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