Die Seefahrer sind ausgewandert

Auf den Kapverdischen Inseln verläuft das Leben mit behäbiger Langsamkeit

Text und Fotos: Judith Weibrecht

Kein leichtes Reiseland hat sich unsere Autorin da ausgesucht: Die Kapverdischen Inseln wissen noch nicht recht, wo sie hingehören zwischen afrikanischem Festland, portugiesischer Vergangenheit und touristischer Zukunft. Sie schwanken zwischen „Dritter Welt“ und moderner Urlaubdestination - und das macht derzeit ihren besonderen Reiz aus. Ein Reiseziel für Leute, die sich noch auf das gemächliche Leben der Einheimischen einlassen können.

Kapverden - Strand von Santa Maria Sal

Am Strand von Santa Maria

Ein warmer Wind fegt beständig durch die Inselhauptstadt von Sal, deren einstiger Reichtum an Salinen ihr den Namen gab. Fast alle Häuser sind grün oder türkis bis hellblau angestrichen zum Schutz gegen die Mücken. Am Straßenrand glänzt ein kleiner, schwarzer Junge in der Mittagssonne, der gerade von seiner Mutter mit kaltem Wasser übergossen wird. „Bananas!“ rufen mir drei schwarze Frauen in bunten Gewändern hinterher, als ich über die unebenen Pflastersteine aus Basalt stolpere. Auf einem Platz spielen Männer unter den einzigen Bäumen weit und breit Karten oder das Oril-Spiel.

Nur vier Regentage pro Jahr

Es ist der Nordostpassat, der über die staubige Insel hinwegfegt. Schön? Was soll schön sein an Sal? Sal ist nicht schön: Schon beim Landeanflug straft es den Landesnamen Lügen. „Cabo Verde“, grünes Kap. Von grün ist weit und breit nichts zu sehen! Angeblich kommt der Name daher, dass die Kapverdischen Inseln, neun bewohnte und sechs unbewohnte, für ihre Entdecker hinter dem Cap Vert Senegals lagen.

Kapverden Santo Antao Steilküste

Steilküste auf Santo Antão

Sal ist sicher das ödeste Eiland, das ich in meinem ganzen Leben gesehen habe: Platt wie eine Flunder, Wind, aufgewirbelter Sand, Staub, Wüste, ein Ausläufer der Sahelzone im Atlantik. Es ist High Noon, die Sonne brennt erbarmungslos vom Himmel. Schatten? Fehlanzeige! Auf den Kapverden soll es im Durchschnitt vier Regentage pro Jahr geben. Tendenz fallend! Irgendwo quietscht ein rostiges Windrad. Desperado City? Die Schönheit Cabo Verdes findet man eher auf den anderen Inseln und in der Sanftheit und Freundlichkeit seiner Menschen.

Im Sammeltaxi, einem Pick-up, geht`s auf Holzbänken, die auf der Ladefläche befestigt sind, nach Santa Maria, dem Mekka der Pauschaltouristen und einer Hochburg der Surfer. Paradiesische Strände aus goldgelbem Wüstensand und der türkisfarbene Atlantik lassen die Herzen höher schlagen. Doch neben den Luxushotels wohnt die „Dritte Welt“: Kinder laufen barfuß herum und betteln, der Fäkaliengeruch aus den einfachen Baracken weht herüber.

Kapverden Fischer

Fischer auf den Kapverden

Auf den meisten Inseln gibt es keine Straßen, sondern nur staubige Pisten, keine Taxis, sondern Pick-ups, keine warme Dusche, sondern eine eiskalte, und auch die nicht immer. Und morgens muss man anmelden, dass man abends gerne etwas zu essen hätte. Egal was. In der Regel ist es Fisch satt. Die Kapverden müssen neunzig Prozent ihrer Lebensmittel einführen, hauptsächlich von der ehemaligen Kolonialmacht Portugal. Daher sind die Kapverden, „Dritte Welt“ hin oder her, kein billiges Reiseland, und in keiner Weise ist das Preisniveau mit dem benachbarter westafrikanischer Staaten auf dem Festland zu vergleichen!

Baia das Gatas auf São Vicente

Wehmütige Töne, entfesselte Klänge

Auf São Vicente sieht die Landschaft schon anders aus: Schroffe, rötlich-braune Bergrücken und herbe Vulkanlandschaften glühen in der Sonne, am Straßenrand vom ständigen Wind in Richtung Brasilien gebeugte Akazien: ein Aufforstungsprogramm gegen die Bodenerosion. In der Einöde tauchen versprengte Steinhäuser ohne Fenster auf. Ein paar Kinder rennen auf die Straße, als sie das Sammeltaxi kommen hören. Frauen balancieren Lasten auf dem Kopf.

Kapverden Kinder

Mindelo ist die Hauptstadt der Insel, zweitgrößte Stadt des Landes und liegt in einer weit geschwungenen Bucht mit Hafen, einst Dreh- und Angelpunkt der transkontinentalen Schifffahrt. In der Kulturmetropole der Kapverden geht es heute vor allem um Musik, um die entfesselten Klänge der Funanas, wehmütige Mornas oder Coladeras, und um Malerei. Nachts und am Wochenende werden viele Wohnzimmer zum Club, in dem eine Band spielt und getanzt wird. Neben unserer Pension gibt es nachts ein Hundekonzert, nachmittags kräht der Hahn.

Kapverden Mindelo Uferstraße

Auf der Uferstraße in Mindelo

Portugiesische Kolonialbauten in Bonbonfarben zeugen mit ihrem morbiden Charme von verblühter Größe. Der Präsidentenpalast ist quietschrosa getüncht. Auch der Torre de Belém, Nachbau des Turms in Lissabon, verweist auf die frühere Kolonialmacht. Heute sitzt in dessen Hinterhof ein behäbiger, dicklicher Gemütsmensch mit Bauchansatz, der dort einen Stall betreibt: Zwei Ziegen und fünf Hühner kümmern sich nicht um Portugals einstige Größe.

Kapverden Mindelo Stadtansicht

Blick auf Mindelo

Ruhe pur

Die Straße hoch zur Praça Estrela wird von einer Art Freiluftmarkt gesäumt, wo Frauen auf dem Boden Zwergbananen in Plastikschüsseln, Karotten, Kartoffeln, Linsen und Kräuter anbieten. Auf einem anderen Platz, der Praça Nova, findet allabendlich das „Praça-Gehen“ statt: Man dreht seine Runden, einmal, zweimal, dreimal, immer im Kreis herum, und zeigt sich, schlendert vorbei am Praça-Nova-Kiosk, wo einige ihren Kaffee schlürfen. Sonntags spielt eine Band afrikanische Trommelrhythmen. Man übt schon für den Karneval. Der hier soll der heißeste sein nach Rio!

Kapverden Baia das Gatas

Baia das Gatas/p>

Sonntags fährt man auch nach Baía das Gatas, einer weit geschwungenen, kilometerlangen Bucht, wo im Sommer das Musikfestival stattfindet. Der Traumstrand São Vicentes. Ein paar Wochenendhäuschen. Kein Hotel. Keine Toilette. Eine Bar. Ruhe pur.

Die Fischgerichte sind ein Traum

Das Restaurante Guloso liegt ganz versteckt in einem Wohnhaus. Die Gaststube mit nur vier Tischen ist sozusagen das Wohnzimmer der Familie. Wir haben Glück, denn der Tisch auf dem Balkon ist frei. Ein Ballonfisch hängt aufgeblasen über meinem Kopf und zeigt seine Stacheln zum Schutz vor Feinden. Es gibt „Peixe do día“ – fangfrischen Fisch – und dazu Cachupa. Cachupa ist das Nationalgericht, eine üppiger Eintopf aus Bohnen und Mais, je nachdem mit Kartoffeln, Maniok, Speck, Wurst, Fleisch oder Fisch angereichert. Er wird auch morgens zum Frühstück gegessen. Der Fisch? Ein Traum! Sein Name? Bica! Auf deutsch? Keine Ahnung. Einfach nur lecker.

Kapverden Marktfrau

Marktfrau in Mindelo

Die Überfahrt von São Vicente nach Santo Antão auf der „Mar Azul“ erfolgt bei Kreuzsee. Die Fähre schlingert und rollt nicht nur nach oben und unten, sondern auch von links nach rechts. Dies bewirkt, dass selbst die Caboverdeaner ihr Innerstes nach außen kehren, denn angeblich sind die Gene der Seefahrer mit den letzten Walfängern ausgewandert. Schwarze Plastikeimer werden verteilt.

Kapverden Santo Antão

Dorf auf Santo Antão

Die Fahrt mit der Ziege

Ab Porto Novo fahre ich auf der Ladefläche eines Aluguers, Sammeltaxis, zusammen mit einer Ziege, die ich kaufen soll, denn sie schmecke gut - zuerst durch eine eindrucksvolle Landschaft mit schroffen, steilen, unbewachsenen Felsabhängen, Schluchten und Tälern. Doch kaum ist bei 1300 Meter der höchste Punkt der abenteuerlichen Pflastersteinstraße von Porto Novo nach Ribeira Grande erreicht, ändert sich die Landschaft schlagartig, und auf der Luvseite ist man von tiefem, überwältigendem Grün umgeben.

In Ribeira Grande, dem Hauptort der Insel, werde ich umgeladen auf einen anderen Pick-up. Später, in Ponta do Sol, treffe ich auch den Ziegenverkäufer wieder, der diesmal stolz lächelt: Er hat verkauft! Wir dümpeln ein bisschen herum, schauen mal zum Hafen mit den bunten Holzkähnen, wo die Fischer durch die so genannte Boca da Pistola ihre Boote hineinzirkeln. Ansonsten sehen wir niemanden. Alle tausend Einwohner des Ortes scheinen kollektiv verstecken zu spielen.

Kapverden  Ponta do Sol Santo Antão

Ponta do Sol auf Santo Antão

Zurück in Ribeira Grande, was großer Bach bedeutet, der allerdings ausgetrocknet ist, springen mir Schulkinder mit ihren hellblauen Überhemden entgegen. Eine Schule gibt es in fast jedem Ort, auch in sehr viel kleineren als diesem hier, der immerhin dreitausend Einwohner hat. Sie möchten „Ausländer anschauen“ und fotografiert werden. Aus den anfangs drei Jungs werden, weil es sich anscheinend schnellstens herumgesprochen hat, schließlich fünfzehn Kinder.

Warten auf bessere Zeiten

Sensationen gibt es hier nicht. Der Tag vergeht nur langsam, und so wandern wir in die „Cantinho da Amizade“ (Kantine der Freundschaft), wo man bei ein, zwei Gläschen Grogue, dem Zuckerrohrschnaps der Insel, auf bessere Zeiten wartet und politisiert. Im Innenhof wachsen Bananenstauden, und der Bruder des Konsuls der Kapverdischen Inseln in Berlin erklärt uns, dass es nur eine einzige Politik gebe. Dabei zeigt er seine Faust: “Work hard and get money!“

Kapverden Santo AntãoIm ebenfalls ausgetrockneten Flussbett des Ribeira da Torre wandern wir auf einer Piste durch brütende Hitze und den feinen Staub des Harmattan, auch bruma seca, trockener Nebel, genannt. Es handelt sich dabei um einen Wüstenwind aus der Sahara, der feinen Sand mit sich bringt und die monumentale Bergwelt Santo Antãos eintrübt. Links und rechts an den Steilhängen kleben kleine Häuschen. Man pflanzt Bananen, Mais und Zuckerrohr für den Grogue auf Terrassen, die in die steilen Berghänge eingehauen sind. Schweine wohnen in aus Natursteinen gefertigten Rondells und gucken mal kurz raus, um zu sehen, wer vorbeikommt. Eine abgemagerte Kuh und ihr Kalb pressen sich in den Schatten. Ziegen und Hühner laufen herum und verirren sich schon mal in die Wohnhäuser.

Wie immer werden wir von Kindern ein Stück des Wegs begleitet. Manche erzählen ein wenig auf portugiesisch, der Amtssprache, Umgangssprache ist jedoch auch Creolo, eine Mischung aus Portugiesisch und afrikanischen Sprachen. Doch meistens heißt die Losung: „Bonjour! Stylo? Bonbon? Foto? Money?“ Und dann verabschiedet man sich wieder.

Ein barfüßiger Kleiner mit einem bis auf einen Knopf geöffnetem Hemd, versucht mir zu erklären, dass seine Eltern einen Laden haben, in dem es kaltes Bier gibt. Da der Schweiß bei achtundzwanzig Grad im Schatten in Strömen rinnt, gehen wir auf dem Rückweg an seinem Haus, das hoch oben auf einem Felsen thront, vorbei. Drei Leute grüßen freundlich herunter, wir klettern mühsam nach oben. Der kleine João erwartet uns freudig. Niemand sagt ein Wort oder rührt sich von der Stelle. Der Laden, der wie immer als solcher von außen nicht zu erkennen ist, ist geschlossen!

Das verrückteste Dorf der Welt

Auf einer atemberaubenden Wanderung die spektakuläre Steilküste entlang erreichen wir den hübschen Ort Fontainhas, dessen farbig getünchte Häuser an den grauen Basaltfelsen kleben, und betreten einen kleinen Dorfladen mit integrierter Bar. Ein Deutscher kommt durch den bunten Vorhang aus Plastikstreifen in die Bar und fällt mir fast um den Hals. „Endlich mal ein deutsches Wort! Weißt du, ich bin der glücklichste Mensch der Welt. Ich habe heute eine Einheimische geheiratet! Nachdem ich nun mal eine Woche nüchtern war, muss ich heute wieder kräftig saufen!“. Sprach´s und bestellte drei Bier, zwei Grogue und einen Pontche (Grogue mit Zuckerrohrmelasse, Zitronenscheiben, Orangenschalen und ein paar Nelken verfeinert) beim Kellner.Das hier sei das verrückteste Dorf der Welt, versichert er uns. An seinem Hals baumelt ein Lederband mit Plastikperlen.

Kapverden Santo Antão Steilküste

Steilküste auf Santo Antão

All das kommt mir vor wie etwas, das ich schon oft erlebt habe. Selbst in den hinterletzten Winkeln dieser Welt findet sich immer ein deutscher Aussteiger, der froh ist, einen zu treffen und einem das einfache Leben der Bevölkerung anpreist. Dieser hier ist zufrieden: „Wenn du hier in die Berge gehst und dich neben einen alten Neger in den Staub setzt, dann weißt du, was das Leben wirklich ist. Prost!“.

Reiseinformationen zu den Kapverden

Botschaft der Republik Kap Verde
Stavanger Str. 16
10439 Berlin
Tel.: +49 30 20 45 09 55
Fax: +49 30 20 45 09 66
E-Mail: info@embassy-capeverde.de
www.embassy-capeverde.de
Öffnungszeiten:
Montag - Freitag 09:00 Uhr - 17:00 Uhr

Zur Einreise in die Republik Cabo Verde wird ein Visum benötigt, das unter obiger Adresse beantragt werden kann.

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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