Venedig im Winter

Eine Hommage an La Serenissima, die Glanzvollste

Text: Ulla Schmitz / Fotos: Dirk Renckhoff

Wie oft diese Stadt wohl schon beschrieben wurde? In wievielen Metaphern, wievielen Analogien? Mal als Hort für Romantiker oder als Treffpunkt allen Weltschmerzes. Mal als Mittelpunkt aller Sehnsüchte, mal als das Zentrum aller Sinnlichkeiten. Immer aber in der Verklärtheit des mystischen, immer in Hingabe an la morbidezza, an den morbiden Charakter Venedigs, der sich zur Winterzeit in melancholischer Grandezza auslebt und dem natürlich auch unsere Autorin Ulla Schmitz völlig erlegen ist.  

Venedig - Seufzerbrücke

Seufzerbrücke

Nebel bedeckt die Kanäle, verhängt die marode Pracht der palazzi wie mit kostbarer Seide und dämpft die leisen Stimmen der Stadt zu einem geheimnisvollen Wispern und Seufzen. Es ist Winter in Venedig, was nicht bedeutet, dass es schon auf Weihnachten zu geht oder bereits ein neues Jahr angebrochen ist. Nein, Winter in Venedig bedeutet die Zeit vor und nach der Hochsaison zwischen Ende April und Mitte Oktober. Vor und nach den Touristenströmen, die Millionen stark sind und die alljährlich die Stadt der Inseln in der Laguna Venetia einnehmen.

Venedig - Gondeln vor San Giorgio Maggiore

Gondeln vor San Giorgio Maggiore

Wettlauf mit der Existenz

Glücklicherweise, sagt man in Venedig, wenn die Zeit der Invasion noch nicht angebrochen ist und man verdrängt hat, wie es ist, wenn der Andrang der Besucher sich entlang sämtlicher Kanäle und in alle Bars, Osterien, Restaurants, Museen und Kirchen zieht, sich über alle Brücken schiebt, jeden campo verstopft und wahre Gondelstaus auf den Wasserstraßen den Alltag lahm legen. „Dem Himmel sei Dank“, sagt man, wenn die Saison vorbei ist, man das Einkommen der vergangenen Monate zählt und erkennen kann, dass das Auskommen ein weiteres Jahr gesichert ist. Denn nur, wer im venezianischen Tourismus sein Geld verdient, kann in der Stadt bleiben, für alle anderen ist die Zeit der Romantik schon längst abgelaufen. Sie sind nach Mestre oder ganz weit weg auf das Festland gezogen und verdienen dort nun ihren Lebensunterhalt. Zurück geblieben sind 60.000 Einwohner – welch ein Fanal! Welch eine Parallele zum äußerlichen Verfall Venedigs!

Venedig - Canal Grande, Blick von Rialto-Brücke

Canal Grande, Blick von Rialto-Brücke

Hingabe an Vergänglichkeit

Es ist eben diese Tragik, die das unvergleichliche Flair Venedigs ausmacht. Die sich aus der Eindeutigkeit des Vergänglichen, aber auch um das Wissen darum zusammensetzt. Und die den Strukturen einer funktionierenden Vermarktung die völlige Hingabe an Melancholien, die Lust an allem Morbiden und die Romantik sinnlicher Gefühlsbewegungen entgegen hält. Schon seit Jahrhunderten lebt Venedig die Leidenschaften emotionaler Phantasien, real und in solch völligem Selbstverständnis, dass Selbstverliebtheit der treffendere Begriff wäre. Kein Wunder, dass dieser Kosmos voller Extrovertiertheiten schon immer Menschen angezogen hat. Sie schien und scheint eine Magie anzulocken, um dann, in Venedig angekommen, alle Hemmungen zu verlieren.

Bühne der Eitelkeiten

So Thomas Mann, der die Zurückhaltung seinen homosexuellen Neigungen gegenüber so nachdrücklich vergaß, dass gar ein Buch diesen Erfahrungen entstammt, der „Tod in Venedig“. Erica Jong lebte in „Serenissima“ ihre sinnlichen Phantasien während des Karnevals aus, und die Inbrunst, mit der Donna Leon, die große Dame der Kriminalliteratur, ihr Verhältnis zu Venedig definiert, teilt sie ihren Lesern in den Episoden aus dem Leben des „Commissario Brunetti“ mit.

Italien - Venedig - Karnevalsmaske

Karnevalsmaske

Natürlich war auch Goethe hier und unterlag der Poesie dieser „Schönen im Tod“, während die Seelen Ezra Pounds, Prousts und Hemingways in den Auswirkungen venezianischer wilder Liebschaften darbten. Igor Strawinsky vermochte nur in Venedig „den Elegien des Lebens zu lauschen“, um daraus widerum Berauschendes zu komponieren, Richard Wagner verlebte gar seine letzten Lebensjahre hier und starb am 13. Februar 1883 im Palazzo Vendramin-Calergie. Vivaldi, Tizian, Bellini, Marco Polo, Giacomo Casanova, Tintoretto – Namen, hinter denen Persönlichkeiten von Weltruf und -ruhm standen, sie alle reklamiert die Lagunenstadt als ihre Söhne. Auch das berühmteste Liebespaar des 19. Jahrhunderts wählte Venedig zur Kulisse seiner Leidenschaften. Allerdings verließ die Schriftstellerin George Sand den Dichter Alfred de Musset daselbst, um mit seinem Arzt, dem Venezianer Dottore Pietro Pagello, fortan der freien und ziemlich öffentlichen Liebe zu fröhnen. An so viel überzeugten Freimut musste selbst die damals schon recht vorurteilsfreie venezianische Gesellschaft sich erst einmal gewöhnen. Als George Sand, die eigentlich Amandine Lucie Aurore Baronin de Dudevant, geb. Dupin hieß, dann Mitte des 19. Jahrhunderts mit ihrem nächsten Geliebten Frederic Chopin der Stadt in der Laguna Venetia einen erneuten Besuch abstattete, war man die Eskapaden der Frauenrechtlerin gewöhnt. Sodass diese ihren erneuten Aufenthalt, wieder im Hotel Danieli, auch in Männerkleidung gründlich genießen konnte.

Extreme und Extravaganzen

Venedig - San Giorgio Maggiore

San Giorgio Maggiore

Man war Extravaganzen gewohnt in Venedig, man ist noch heute mit ihnen vertraut. Wobei die größte dieser Außergewöhnlichkeiten der eigene Gleichmut ist. Ohne ihn, ohne diese sprichwörtliche venezianische Contenance könnte eine Gesellschaft nicht bestehen, deren Lebensraum auf Abermillionen Pfählen dem Meer abgerungen wurde und die sich auf 118 Inseln verteilt, zwischen denen man über 400 Brücken 177 Kanäle zu kreuzen hat. Die in dieser, kleinen, wie zerrissenen Welt kaum Platz für Grün findet, weil die Fundamente der Kanäle gerade genug Platz zum Entlang gehen lassen. Die sich dennoch ihre Rückzugsorte geschaffen hat, auf kleinen campi, auf Dachgärten und in den bacári (Weinstuben) von San Polo. Die ihre Liaison mit dem Wasser täglich erneuern muss, wenn die Kanäle, je nach Laune, sich über die Keller bis in die ersten Stockwerke der Häuser ausdehnen, die Plätze und die Anlegestege der Boote überfluten und über die steinernen Stufen in die Hauseingänge schwappen. Oder, wie in der Hitze des Sommers oft, einfach nur unangenehm riechen.

Hektik des ganz normalen Alltags

Venedig - Tauben füttern auf dem Markusplatz

All das ficht einen Venezianer nicht an, allenfalls die Touristenströme eines jeden Sommers nagen an seiner Widerstandskraft. Wenn die Gäste aus aller Welt den Nabel der Stadt, den Markusplatz derart überbevölkern, dass man glaubt, mehr Menschen als Tauben zählen zu müssen, wenn der Markusdom , den Ezra Pound mit einer gewaltigen Spinne verglich, mit den vielen Besuchern vor den Eingängen und entlang der Balustraden immer noch einer Spinne gleicht, ja, aber einer mit unzähligen beweglichen Warzen.

Venedig - Markus-Dom von innen

Und wenn die vaporetti auf dem Canal Grande im Stau der Gondeln stecken bleiben. Dann verliert selbst ein Venezianer, vom ewigen Kampf mit dem Dasein in einer versinkenden Stadt von unendlichem Langmut geprobt, dennoch sein Phlegma. Da dröhnen die Flüche der Gondoliere über den Campo San Giacomo di Rialto in San Polo und über den Fischmarkt mit seinen strahlend roten Markisen. Am Palazzo Albrizzi, einem der prächtigsten Paläste Venedigs, vorbei, über die Ponte delle Tette und bis in die bácari dieses uralten Viertels, wo sich zu Casanovas Zeiten und noch lange danach das Rotlichtrevier der Stadt befand. Wo man die Prostituierten aufforderte, ihre „tette“, Brüste, freizügig auf den Mauern der Brücke auszustellen, um damit dem deutlichen Hang der venezianischen Männerwelt zur Homosexualität entgegen zu wirken. Wo Marco Polo zu Hause war und auch Tizian, wo die Handwerker und Kaufleute lebten, die Scheuerleute und das einfache Volk, wo man für Etikette und feinsinniges Getue keinen Raum fand, wo man sich den Edlen und Noblen am anderen Ufer des Canal Grande höchstens mit Spott näherte. Und wo man dennoch die Größe besaß, die Paläste der zu Reichtum gekommenen Händler nicht neidvoll zu betrachten, sondern auch sie in das Bild des ältesten Teils Venedigs zu integrieren.

Venedig á la italiano

Venedig - Murano-Glas

Ebenso weltoffen und kosmopolitisch gab man sich auch seit jeher in Dorsoduro, dem „harten Rücken“ Venedigs. Wo bis heute Gondeln gebaut werden, wo Griechen, Armenier, Russen oder Türken ihre kleinen communitas gründeten, im Schatten ihrer Kirchen und Moscheen, entlang schmalster Gassen und im verwirrenden Durcheinander dünner Kanäle. Hier gibt Venedig sich wie eh und je: Unkapriziös, kein bisschen hochherrschaftlich, dafür familiär und gastlich – uritalienisch also, ohne Schnickschnack. So topografisch eng diese Welt auch ist – so eng, dass sich die Wäscheleinen von Fenster zu Fenster und über den Kanäle spannen lassen – so interessiert ist das Weltbild ihrer Bewohner. Also konnten sich hier die Künstler ansiedeln, sei es, dass sie Schmuck anfertigen oder die mutigsten aller Karnevalsmasken; sei es, dass sie das ungewöhnlichste aller wunderschönen Papiere schöpfen oder original-venezianische Capes nähen; sei es, dass sie flüssiges Glas zu Formen blasen, von denen man nicht ahnte, dass sie Gestalt annehmen konnten oder dass sie Bücher nach altem Vorbild bedrucken. Diese Welt im weiten Umkreis der Chiesa Ognissanti ist die Welt derer, die ihren exzentrischen Vorstellungen von Leben eine bunte Politur verpasst haben – welch ein Gegensatz zu der Welt des sestiere um San Marco!

 

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