Durchs Wasser fahren

Mit dem Fahrrad von Venedig bis Rimini

Text und Fotos: Judith Weibrecht

Von Venedig bis Rimini führt die Tour vollkommen eben durchs Hinterland der Adria - 340 Kilometer lang zu geschichtsträchtigen Orten wie Chioggia, Comacchio, Ravenna, zu Badeorten – und zu Piadine.

Italien - Radweg auf den Murazzi der Lido-Insel in der Lagune von Venedig

Radweg auf den Murazzi auf der Insel Lido

Eben ist die Welt hier, nicht einmal ein Wölkchen am Himmel lenkt ab und stört den platten Eindruck. Links Wasser, rechts Wasser – über die schmale Insel Lido radelt man teils auf Murazzi (Dämmen) vorbei an Villen, dem Glanz vergangener Tage und dem Palazzo del Cinema der Filmfestspiele in Venedig. Auf Pellestrina spielt sich das Leben draußen vor den bunten Häuschen und zwischen Fischkuttern ab. Man grüßt und jeder grüßt zurück. Per Traghetto (Fähre) geht’s hinüber nach Chioggia (1), ein von Kanälen durchzogenes Kleinod und nicht minder hübsch als die große Schwester Venedig, nur nicht so protzig.

Italien - Radeln im Po-Delta Richtung Porto Tolle

Radeln im Po-Delta Richtung Porto Tolle

Von da führt ein gepflasterter Radweg rund um die Laguna del Lusenzo, über Brenta und Etsch und mitten hinein ins riesige Po-Delta, wo sich der Fluss in sechs große Arme und viele kleine Nebenadern aufspaltet. Ein Gehöft erscheint wie aus dem Nichts, dann folgt wieder kilometerweit Stille. Es ist weit, es ist leer, es hat Platz für den ganzen feuchten Nebel, der wabert und in die Kleider kriecht, sich aufs Gesicht legt wie ein nasser Lappen. In der endlos wirkenden Schilflandschaft verlaufen viele Kanäle, Gräben und Äcker. Die wahre Sehenswürdigkeit ist die Natur. An die 500 Vogelarten soll es hier geben: Kuhreiher, Fasane, Drosselrohrsänger. Aber auch fette Bisamratten sichten wir und natürlich jede Menge Möwen. Vogelbeobachter mit langen Objektiven schleichen durchs Gebüsch. Wir folgen der Via delle Valli, die mitten durchs Wasser verläuft.

Italien - Ristorante Medioevo, Spaghetti Rovinassi

Spaghetti Rovinassi im Ristorante Medioevo

Die Einsamkeit mag man genießen und sollte sich die Etappen gut einteilen. Von der Infrastruktur her gilt es, die Bremsen zu ziehen, wenn sich eines der rar gesäten Restaurants bietet. Im „Medioevo“, einem Landgasthof, bestellen wir auf Anraten des Kellners hin „nur“ eine Portion Spaghetti ai Rovinassi (mit Meeresfrüchten) und werden zu zweit davon satt, so riesig ist der Teller.

Damals am Meer

Italien - an der Bootsbrücke von Gorino

An der Bootsbrücke von Gorino

Bei Porto Levante setzt man mit einer Fähre über den Po di Levante und ist direkt am Meer angelangt. Über den Po di Goro aber, den Hauptarm des Po, führt eine der kuriosen Bootsbrücken: auf Betonbooten liegen Planken, fertig ist der Übergang. In der Mitte steht ein kleines Kassenhäuschen, doch von Radfahrern und Fußgängern kassiert der Maestro keinen Cent. Auf dem Damm geht es weiter mit Blick auf venezianische Herrenhäuser. Abbiegen erlaubt: Zur Abtei von Pomposa (2). Touristenführerin Simonetta erzählt, dass die Abtei auf einer Insel liegt, die von zwei Po-Armen gebildet wird, und einst am Meer lag. Machtwechsel und Kämpfe bescherten ihr eine wechselvolle Geschichte. Laut eines ersten Dokuments von 874 gab es schon im 6. Jh. eine kleine Kirche hier. Abt Mainardo ließ 1063 den fast 50 Meter hohen, romanisch-lombardischen Glockenturm erbauen. „Aufgrund seiner Fenster, die nach oben hin immer mehr werden, wirkt er größer, als er ist, und sehr elegant und harmonisch“, weiß Simonetta.

Italien - die Abtei von Pomposa

Die Abtei von Pomposa

Sogar Schalen aus Ägypten wurden an der Fassade der Kirche verbaut, die runden Fenster tragen orientalische Züge. Sehenswert sind die Fresken im Refektorium, die auch den Hl. Benedikt und den einstigen Abt Guido abbilden, von dem Simonetta erzählt: „Im Fresko ist ein Wunder verewigt: Gebhard von Eichstätt fragt Guido nach Wein aus Guidos Krug. Der hat nur Wasser vor sich stehen, das aber, als er es ihm gibt, zu Wein wurde.“ Kein Wunder: Gebhard von Eichstätt fand Pomposa so schön, dass er dort begraben werden wollte. Die letzte Reise des malariakranken Nationaldichters Dante führte hierher, und er erwähnte die Abtei in der „Divina Commedia“. Und: Guido von Arezzo erfand hier die moderne Notenschrift.

Italien - die Abtei von Pomposa

Die Abtei von Pomposa im Detail

Von Pomposa weg führt die ausgeschilderte Radroute über Straßen zu den Lidi (Stränden). Man sitzt in den Cafés der Bagnos (Badeanstalten), schlürft am Cappucino oder am Vino frizzante. Ältere Herren spielen Karten, Bambini rennen schreiend durch den Sand. Der Baywatch macht eine bella figura. Eine Weile geht es fast direkt an der Adria und an der gesichtslosen Architektur der Badeorte entlang. Kioske mit Piadine locken immer wieder aus dem Sattel zum perfekten Radfahrersnack. Die Piadina ist eine Art Fladenbrot mit verschiedensten Belägen und schmeckt am besten warm.

Italien - in Comacchio

In Comacchio

In Porto Garibaldi schieben wir durch einen Straßenmarkt mit schicken Lederjacken und pastellfarbenen Schlafanzügen. Dahinter folgt die Route bis Comacchio (3) einem schiffbaren Kanal mit Aalreusen, hölzernen Fischerhütten und davor aufgespannten Netzen ins Hinterland. Doch was heißt schon Inland: Mehr oder weniger an der Adria lagen hier früher alle Orte, die wir besuchen, auch wenn sie heutzutage teilweise weit davon entfernt liegen.

Italien - Comacchio

Ponte dei Trepponti in Comacchio

Aal ist die Spezialität der Gegend. Im „Musei de marinati“, einer ehemaligen Fischfabrik, erfährt man mehr über die frühere Aalindustrie und was es bedeutete, hier zu schuften. Wer noch mehr wissen will, sieht sich den Film „Die Frau vom Fluss“ mit Sophia Loren an, der hier gedreht wurde. Draußen strahlt die Sonne, einige wenige Touristen durchstreifen das hübsche Städtchen mit seinen vielen Kirchen, Kanälen und Brücken. Eine davon ist Trepponti, eine eigenartige Konstruktion aus Ziegelsteinen. Ringsum liegt Valli di Comacchio, größter Lagunensee Italiens, den wir per Rad umrunden. Ein hölzerner Aussichtsturm steht neben dem Feldweg. Von da starren alle in eine Richtung. Tatsache: Dort drüben staksen Flamingos durchs seichte Wasser!

Italien - am Lagunensee Valli di Comacchio

Am Lagunensee Valli di Comacchio

Bei Punta Marina (4) trifft man fast wieder auf den Adriastrand und auf eine von Wurzeln durchzogene Wegstrecke durch einen würzig duftenden Pinienwald. Er muss sich einmal die ganze Küste entlang gezogen haben. Zahlreiche einheimische Radfahrer kommen uns entgegen und rufen: „Salve!“ Die typische Satteleinstellung ist niedrig: Mit beiden Füßen kann man jederzeit den Boden erreichen und tritt mit den Fersen.

Geschichte in Schichten

Italien - Ravenna, Basilica San Vitale

In der Basilica San Vitale in Ravenna

Das ist auch in Ravenna (5) so, wo sich die halbe Stadt auf diese Weise fortzubewegen scheint. Ravenna war einst eine Lagunenstadt und wurde auf Inseln gegründet. Sie beherbergte einen Militärhafen und war für die Römer eine strategisch wichtig gelegene Stadt. Heute liegt sie 14 Kilometer landeinwärts. Durch das viele Grundwasser sinken die Gebäude um die fünf Millimeter pro Jahr. Geschichte lässt sich somit in Schichten bewundern. So etwa im Domus dei Tappeti di Pietra (Haus der steinernen Teppiche), wo bei einem Bauvorhaben die Marmor- und Steinfußböden eines ehemaligen Wohnhauses entdeckt worden waren.

Heute ist es ein Museum, und wir gehen vier Meter nach unten, um sie zu bestaunen. „Sechs verschiedene Schichten wurden hier ausgegraben“, erklärt Stadtführerin Marianna. Vor allem berühmt ist Ravenna wegen seiner vielen, fast 1.500 Jahre alten, farbenprächtigen Mosaiken, die heute noch leuchten und glänzen: denen der byzantinischen, palastartigen Basilica San Vitale mit Mosaiken von Kaiser Justinian und Theodora, dem vollständig mit leuchtenden Mosaiken bedeckten Mausoleum der Galla Placidia, der Basilica Sant'Appolinare Nuovo, einer ehemaligen Privatkapelle des Ostgotenkönigs und Statthalters Theoderich, wo die Wände mit Mosaiken menschlicher Gestalten verziert sind. Auf der Piazza del Popolo wird Caffè (sprich: Kaffä) hinuntergekippt und debattiert, eine japanische Touristengruppe pilgert zum Grab Dantes.

Italien - Ravenna, Basilica Sant'Apollinare Nuovo

In der Basilica Sant'Apollinare Nuovo

„Ciao ragazzi!“, ruft ein lässig auf einer Bank sitzender Radfahrer, als wir im Zickzack durch den Parco Regionale Delta del Po fahren. Wenige Minuten später sehen wir uns wieder, als wir an einem Schild nicht weiter wissen. „To Cervia? Follow me!“, bedeutet er. Durch Naturschutzgebiete und Pinienwälder verläuft der Radweg idyllisch, bis einen ab Cervia bis Rimini Hotelburgen und Betonklötze begleiten.

Italien - Naturschutzgebiet hinter Ravenna

Naturschutzgebiet hinter Ravenna

Eine Tour ins Hinterland, vorbei an Olivenbäumen, Rebstöcken, Aprikosen-, Pfirsich- und Kirschbäumen, schafft Abhilfe. „Pflücken erlaubt, jedenfalls die mit den braunen Flecken“, sagt Guide Chris zwinkernd, ein Australier, der schon lang hier lebt und ein paar seiner Geheimtipps verrät.. Ansonsten locken allerorten Obststände an den Straßenrändern. In San Vito Casale in der Trattoria „Il Merlot“ kochen Mutter und Tochter noch selbst. Speisekarte? Fehlanzeige. Es gibt, was es gibt, und der Sangiovese-Wein ist selbst gekeltert. „Really Italy“, betont Chris. Unbedingt probieren: Tagliatelle al ragù. Ein weiterer seiner Tipps sind die gelben Wasserautomaten am Wegesrand, wo man kostenlos seine Fahrradflasche mit stillem Wasser auffüllen kann, Mineralwasser kostet fünf Cent. Jeder würde zur Seite gehen und einen durstigen Radfahrer vorlassen, behauptet er. Die Probe aufs Exempel gibt ihm Recht!

Italien - in Santarcangelo

In Santarcangelo

Santarcangelo (6) ist ein Kleinod, das in kaum einen Reiseführer zu finden ist und total unterschätzt wird“, weiß Chris. Stimmt, dieses Städtchen mit seinen Grotten und Tunnels, seiner Burg und seinen lauschigen Plätzen und Kneipen ist eine echte Überraschung. Zurück nach Rimini geht es den Marecchia-River-Trail entlang.

Italien - in den Gassen von Santarcangelo

In den Gassen von Santarcangelo

Fazit: Teils auf glatt asphaltierten Radwegen in der Po-Ebene, aber auch durch Sand im Mesola-Wald und auf Schotter oder mehr oder weniger stark befahrenen Straßen führt die Route entlang. Natur und Einsamkeit, viele hübsche und geschichtsträchtige Städte und sogar Strände sind zu sehen.

 

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