Im Banne des Eisriesen

Mit dem Jeep auf dem Vatnajökull in Island

Text und Fotos: Uwe Lexow

Island Vatnajökull Eisspitzen

Wer nach Island fliegt, sollte versuchen, einen Fensterplatz auf der rechten Seite im Flugzeug zu bekommen. Mit etwas Glück hat man während der letzten halben Stunde vor der Landung auf Islands internationalem Flughafen Keflavik einen grandiosen Ausblick auf den drittgrößten Plateaugletscher der Welt, den Vatnajökull.

Elf Prozent der Landfläche Islands werden von Gletschern bedeckt. Allein der Vatnajökull hat dabei eine Fläche von rund 8.300 Quadratkilometern – ein fast unvorstellbares Eispaket, das für den Süden Islands in jeder Hinsicht landschaftsbestimmend ist: Im Sommer sorgt der Eisriese dafür, dass sich die aufsteigenden Wolken an seiner Südflanke abregnen - mit der Folge, dass das Land üppig grün ist, während an der Nordseite trockene Steinwüsten zu finden sind. Urstromtäler und Gletscherflüsse bestimmen die Landschaft und vermitteln ein archaisches Bild, das einen zu jeder Jahreszeit in seinen Bann zieht.

Island Vatnajökull Straße

Die Nationalstraße 1 führt im Süden Islands am Rande des ewigen Eises vorbei. Hier finden sich einige der schönsten Wasserfälle der Insel, nur ein paar Schritte von der Ringstrasse entfernt, und gar nicht zu verfehlen. Prächtig stürzen sich Sellfoss und Seljarlandsfoss in die Tiefe. Auch wenn diese Fälle nicht besonders hoch sind, vermitteln sie einen Eindruck von der gewaltigen Kraft des Wassers.

Island Vatnajökull Wasserfall

Ich bin mit einer kleinen Gruppe auf dem Weg zum Jökulsárlón, dem wohl bekanntesten Gletschersee an Islands Südküste. Ein paar Stunden sind wir schon unterwegs. Bisher war das Wetter für Süd-Island nicht schlecht: Ein paar Schauer, ab und zu blauer Himmel und ein bisschen Sonne, typisch isländisch eben: Man hat alle Jahreszeiten an einem Tag.

Auf der Landseite kommt der Mydralsjökull in Sicht, mit knapp 600 Quadratkilometern Islands viertgrößter Gletscher. Unter seiner 200 bis 300 Meter dicken Eiskappe schlummert einer der gefährlichsten Vulkane der Insel: die Katla. Immer wieder ist es in der Vergangenheit zu Gletscherläufen gekommen, wenn der Vulkan bei einem Ausbruch Teile des Eismantels abschmilzt und sich Wasser, Stein- und Geröllmassen in die Täler ergießen - ungebändigt, unberechenbar. Alle isländischen Vulkane haben übrigens weibliche Vornamen, während die Gletscher männlich sind.

Erstmal ein Gebet

Direkt hinter dem Örtchen Vik geht es über den Mydralsandur, eine 700 km² große Sandwüste südöstlich des Mydralsjökull. Sand und Schotter, von nacheiszeitlichem Schmelzwasser der Gletscherströme abgelagert, schieben die Küstenlinie immer weiter ins Meer hinaus. Teilweise ist das Meer von der Straße aus nicht mehr zu sehen. Es ist stürmisch geworden, der Himmel reißt auf. Wir sehen zu, dass wir ins Fahrzeug kommen und uns vor Kälte und Sand in Sicherheit bringen: Sand, der wie Schmirgelpapier auf der Haut prickelt, der gnadenlos in jede Öffnung eindringt.

Island Vatnajökull schwimmende Eisberge

Links zweigt die F 22 ab, die Piste nach Landmannalaugur und zur Eldjá-Schlucht. Als wir Nupstadur erreichen, hat der Sturm sogar Orkanstärke erreicht. Unglaublich, mit welcher Wucht der Wind peitscht. Das Wasser der kleinen Fälle, die von den Bergen herunter kommen, erreicht nicht den Boden, sondern wird durch den Sturm waagerecht zur Seite gedrückt. Es ist, als stünde die Physik auf dem Kopf. In der kleinen Kirche von Nupstadur pflegten die Reisenden früher ein Gebet zu sprechen, ehe sie ihre beschwerliche Reise über die Sanderflächen zu Fuß oder zu Pferd fortsetzten - eine Tradition, die ich auch heute noch pflege. Keiner in der Reisegruppe lacht, als ich in der kleinen Kapelle Gott oder die Götter - wer weiß auf Island schon, was richtig ist - bitte, uns heil unser Ziel erreichen zu lassen, durch Sturm und Unwetter.

Island Vatnajökull Jeep auf dem Gletscher

Nupstadur: bei Sonne ein geradezu idyllischer Ort. Vor dem alten Wellblech-Bauernhaus stehen ein paar uralte Autos, die aber noch zugelassen sind. Bewirtschaftet wurde der Hof bis vor einigen Jahren von zwei Brüdern, von denen man sagt, dass sie seit Jahren nicht mehr miteinander gesprochen haben, sie das Schicksal aber gleichwohl hier zusammen geschmiedet hat.

Eisberge im See

Wir fahren weiter, entlang der riesigen Sanderflächen, lassen den Skaftafell Nationalpark buchstäblich links liegen, kommen vorbei an der Stelle, an der im Jahr 1996 ein Gletscherlauf die Ringstrasse zerstört hat und wo jetzt ein Mahnmal aus den Teilen der alten Brücke an diese Naturkatastrophe erinnert, und erreichen schließlich unser Tagesziel, den Jökulsárlón. Das Bild, das sich uns bietet, entschädigt für die eher eintönige Fahrt über die Sandflächen: Vor der Kulisse dunkler Vulkanberge liegt vor uns ein kristallklarer See, auf dem eine Vielzahl von kleinen und großen Eisbergen schwimmt, die weiß, blau und schwarz in der Sonne schimmern. Das Eis stammt von einer Gletscherzunge des Breiðamerkurjökull, dessen Abbruchkante vom Ufer des Gletschersees aus nicht zu sehen ist. Rund tausend Jahre ist das Eis alt.

Island Vatnajökull Farbspiel im Eis

Das Farbspiel von Licht und Eis ist faszinierend. Geht man näher an den Gletschersee heran, hört man das Eis knistern. Vor allem die blaue Farbe bleibt unvergesslich. Physikalisch ist das Blau leicht zu erklären: Wasser absorbiert alle Lichtstrahlen mit Ausnahme von Blau, und Eis ist nichts anderes als gefrorenes Wasser, das physikalisch dieselben Eigenschaften hat. Weiss schimmernde Eisberge entstehen, wenn Luft in das Eis eindringt und das Eis zu schmelzen beginnt. Bleibt noch das Schwarz zu erklären: Es ist vulkanische Asche vom letzten großen Ausbruch der Hekla 1945.

Island vatnajökull Gletscherrand

Langsam treiben die Eisberge von der Lagune ins Meer. Nur etwa zehn Prozent des Eisberges ragen aus dem Wasser, 90 Prozent liegen unter der Wasseroberfläche. Einige stehen sogar auf dem Grund des 150 Meter tiefen Sees und tauen langsam im Laufe von ein paar Jahren ab, bis sie immer kleiner werdend ins Meer gelangen. Es ist mächtig kalt hier am Ufer der Lagune. Das Wasser hat nicht mehr als vier Grad, und man hat den Eindruck, als ob man vor einem geöffneten Tiefkühlschrank steht. Auf der Lagune selbst ist es noch frischer, als wir mit einem alten Amphibienfahrzeug auf den See hinaus fahren.

Plötzlich ein lautes Knacken und eine leichte Unruhe beim Bootsführer: Einer der mächtigen Eisblöcke seitlich von uns beginnt, sich zu drehen. Die Welle, die dabei entsteht, lässt das Amphibienfahrzeug kräftig ins Schaukeln geraten, so dass der Fahrer lieber wieder den Motor anwirft. Nur mit Mühe halten wir die Kameras mit klammen Fingern. Nach einer halben Stunde auf der Gletscherlagune sind wir total durchgefroren. Der heiße Tee hilft wenig, der Rum sichert das Überleben.

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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