Streiflichter Nordindiens

Text: Albrecht G. Schaefer
Fotos: Albrecht G. Schaefer u. Dirk Renckhoff

Indien / Alt-Dehli

Blick von der Jamid-Moschee auf Alt Dehli

Wer die indische Hauptstadt und Teile Nordindiens mit dem "Pink City Express" und auf dem schwankenden Buckel eines Dromedars erleben möchte, den nimmt der Autor mit auf eine Reise zum Roten Fort und zum "Palast der Winde", an die Ufer des Ganges und zum "Denkmal der Liebe", ganz zu schweigen vom "Fries der Liebe".

Ein architektonisches Juwel der indischen Hauptstadt: Das Rote Fort, Foto. Dirk Renckhoff

Guten Morgen, Neu Dehli

Turbulent und verwirrend sind die ersten Eindrücke, die der Besucher in der Hauptstadt des nun über eine Milliarde Menschen zählenden Landes erfährt. Wer sich den ungewohnten Lauten, Farben und Gerüchen gegenüber verweigert, der scheint nicht richtig ankommen zu wollen. In Neu Dehli gelingt der erste Kontakt mit Indien am besten während einer Fahrt in einem der unzähligen Scooter, wie die knatternden Motorrollertaxis genannt werden. Nun heißt es, in das kunterbunte Gewusel der zahlreichen Stadtteilmärkte einzutauchen.

Indien / Verkehrsgewühl

Indischer Alltag. Menschen, Menschen, Menschen und ihre fahrbaren Untersätze

Neugierig betrachte man das reiche Angebot an exotischen Früchten, unbekannte Gemüsesorten, Kleintieren, Kleidern und Geschirr. Doch nicht nur hier werden die Sinne gefordert: vor und in der Jamid Masjid, der größten Moschee des Landes, wird man auf die allgegenwärtige Religiosität eingestimmt. Auch im nahen, ebenfalls in Alt Dehli gelegenen Roten Fort stellt sich das Land eindrucksvoll vor:. Am Ostufer des Yamuna unter der Regie des Mogul-Herrschers Shah Jahan 1638 erbaut, ist es Blickfang der bewegten Geschichte und nationales Monument.

Prachtvoll das Innere des Roten Forts, Foto: Dirk Renckhoff

Täglich strömen über 10 000 Bewunderer aus ganz Indien - Schulklassen, Landfrauenverbände, Soldaten und Hochzeitsgesellschaften - durch die massigen Torbauten, hinter denen sich filigrane Pracht in Marmor und Sandstein entfaltet.

Ein "Schrein der indischen Geschichte"

Unweit der Festung ruht wie eine Insel im brandenden Alltagsleben Raj Ghat, die Gedenkstätte für die Galionsfiguren des modernen Indiens: Jawaharlal Nehru, erster Premier nach der Kolonialzeit, seine Tochter Indira Gandhi und deren Söhne Rajiv und Sanjay.

Indien / Grabplatte

Ein Blick auf die Grabplatte von Rajiv Ghandi, Foto: Dirk Renckhoff

Ein schlichter, schwarzer Marmorblock erinnert an Mahatma Gandhi, dessen Asche nach seiner Ermordung 1948 hier beigesetzt wurde. Mit brennenden Kerzen und frischen Blüten geschmückt, strahlt Raj Ghat Versöhnung und Harmonie aus. Stimmungen, die wir auf die Mehrheit der acht Millionen Stadtbewohner in ihrem Überlebenskampf kaum übertragen können.

Mit dem "Rosa Zug" nach Jaipur

Gegensätzlichkeiten sind ständige Begleiter einer Indienreise, so auch am frühen Morgen im Bahnhof von Neu Dehli. Wer den "Palace on Wheels", der von Dehli über Agra 2 600 Kilometer weit durch Rajasthan schnauft, gebucht hat, dem bringt eine Eisenbahnfahrt Nordindiens Sehenswürdigkeiten und den Glanz der Vergangenheit auf luxuriöse Weise näher. Klimatisierte Abteile im Nachbau des Salon-Zuges der Maharadschas aus dem 19. Jahrhundert, eine märchenhafte Ausstattung und exquisite Küche - das ist das kleine, feine Reich der Touristen, die sich im "Rollenden Palast" wie "Fürsten auf Zeit" fühlen dürfen.

Indien / Zug

Hinein in den "Rosa Zug" nach Jaipur

Doch wer wie wir mit der "normalen" Eisenbahn reist, erlebt Land und Leute aus bodenständiger Perspektive. Schätzungsweise elf Millionen Menschen sind auf dem fast 70 000 km langen Streckennetz Tag für Tag unterwegs. 8 500 Lokomotiven sind im Einsatz - mit mehr als 1,6 Millionen Angestellten ist die Eisenbahngesellschaft größter Arbeitgeber. Die Bilder von Menschentrauben auf Wagendächern sind sie hier Wirklichkeit. Und doch ist Indien trotz entsetzlicher Armut und teilweise mittelalterlich anmutender Technik im Trend dabei: Die rund 8 000 Bahnhöfe des Subkontinents sollen mit Internet-Terminals ausgestattet werden.

Zunächst jedoch muss der Neuankömmling im Bahnhofsgebäude durch einen ganz realen Wirrwarr "surfen". Obdachlose und wartende Fahrgäste kauern vor und in der Halle, sogar auf den Gleisübergängen liegen sie in Decken gehüllt. "Scharfe Düfte" umwehen die Reisenden; Essensreste und andere Abfälle locken Fliegen an. Auf Gleis 7, wo sich Reisende und deren Verwandte um Gepäckberge scharen, läuft endlich der "Pink City Express" ein, der Schnellzug nach Jaipur.

Neu Dehli hinter sich lassen

Fast eine Stunde, die der Zug tutend und rüttelnd bis zur Stadtgrenze braucht, halten Gedränge und Diskussionen um die zugewiesenen Sitznummern an. Im Gefolge der genervten Schaffner kämpfen sich Teeverkäufer mit unentwegten "Chai! Chai!"-Rufen durch die verstopften Gänge. Orangenfarben steigt der Sonnenball über dem Rauch unzähliger Ziegelbrennereien auf, während Rinderherden auf die Stoppelfelder ziehen und auf der Überlandstraße schwankende Busse und hochbeladene Lastwagen brausen. In den Dörfern und Gehöften hat der Tag längst begonnen. Frauen balancieren Wasserkrüge, Kinder treten vor die Lehmhäuser, reiben sich die Augen und winken dem Zug hinterher.

Auf der Fahrt von Neu Dehli bis Japiur haben wir sechs Stunden Zeit. Wir versuchen, es uns in den Abteilen bequem zu machen, soweit das bei dem ständigen Klappern und Rattern der Wagen überhaupt möglich ist. Für Unterhaltung ist auf alle Fälle gesorgt, den wir Fremden werden schnell von unseren Abteilnachbarn angesprochen: Ein älterer Mann aus Bombay, der in seinem zerknitterten Anzug schon seit zwei Tagen unterwegs ist, bietet der Runde Gebäck an. "Selbst gemacht!" betont er in bestem Deutsch. Er habe vor vielen Jahren in Stuttgart Zeitungen ausgetragen und später in der Nachbarschaft ein indisches Restaurant betrieben. "Unsere Küche mögt ihr doch", schmunzelt er.

In Rajasthan unterwegs

Der Zug fährt bereits durch Rajasthan, einen der ärmsten Staaten Indiens. Vor zwei Jahren hatten erst eine überlange Dürreperiode, dann schwere Regenfälle Tausenden den Tod gebracht. Jetzt Ende März liegt wieder die braungelbe Farbe der Trockenzeit auf Häusern, Feldern und der sich im Dunst erhebenden Aravallis-Kette.

Indien / Kochzeit

Dörflicher Alltag: die Frau am Herd

Dromedare, die immer häufiger auf Straßen und Wegen auftauchen, wirken wie Abgesandte der sich im Nordosten erstreckenden Wüste Thar. Sandiger Staub umweht auch den Bahnhof der Stadt Alwar, wo der "Pink City Express" einen längeren Zwischenhalt einlegt. Die ist die Gelegenheit, auf dem Bahnsteig die Beine zu bewegen und ein Kleinod aus der kriegerischen Geschichte zu erblicken: den vor der Stadt schemenhaft aufragenden Palast, eine der schönsten Residenzen der einstigen Rajputenfürsten.

Guten Tag, Jaipur

Die Mittagshitze liegt wie eine flirrende Kuppel über der Ebene, als der Zug in Jaipur einläuft. Wieder geht es hinein in den Alltag einer indischen Stadt. Drahtige Männer jeden Alters strampeln in alle Richtungen um in ihren Fahrradrikschas Menschen und Lasten zu befördern. Ausgemergelte, gar nicht so "heilig" anmutende Buckelrinder laufen, stehen, liegen mitten auf der Straße oder durchstöbern Abfallhaufen in den Gassen. Überall wird gehandelt und gefeilscht. Musikfetzen dringen aus den Läden hervor. Anders als Dehlis Straßenlabyrinth erscheint Jaipur lässiger, geruhsamer. Acht Portale führen in den von einer sechs Kilometer langen Mauer umsäumten Kern Jaipurs. Sawai Singh II. hatte die Stadt Anfang des 18. Jahrhunderts, als Rajasthan sich der Mogulherrschaft entledigt hatte, streng nach altindischer Baulehre schachbrettartig anlegen lassen. "Pink City" heißt sie seit 1878, als sie wegen des Besuchs des späteren britischen Königs Edward VII. in der Begrüßungsfarbe Rosa angemalt wurde.

Ein Hauch von luxuriösem Orient

Indien / Hotel

Filigrane Architektur: "Palast der Winde"

Das ersehnte orientalische Flair empfängt uns im Hotel "Bissau Palace". Dicht am Chandpol-Tor in einer Seitenstraße verborgen, gewährt die zur Touristenunterkunft umfunktionierte Residenz eines ergrauten Prinzen die willkommene Erholung. Es ist zwar keines der berühmten, teuren Palasthotels wie das idyllisch gelegene "Lake Palace" in Udaipur, das pompöse "Rambagh Palace" in Jaipur oder die legendäre Schlossherberge von Mandawa. Doch auch im bescheiden-gemütlichen "Bissau" besticht die Mischung aus angestaubtem, mit der Patina einer längst abgelösten Feudalepoche überzogenem Inventar in Zimmern, Lobby und Bibliothek mit praktischem Komfort wie Garten, Schwimmbecken und exzellente Küche. Ein perfekter Stützpunkt um einige der Attraktionen von Jaipur und Umgebung zu erkunden.

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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