Der linke Finger per Rad

Messenien (Griechenland) mit dem Fahrrad

Text und Fotos: Judith Weibrecht

Rund um die Küste Messeniens, den westlichsten „Finger“ des Peloponnes, führt diese einwöchige Radtour fast immer am Meer entlang zu kleinen Fischerdörfern, Stränden, Burgen, Olivenhainen und Wasserfällen.

Griechenland - Messenien - Fischernetz

Schuld ist meine Deutschlehrerin. Gerade mal elf Jahre war ich alt, da nahm sie im Unterricht Heinrichs Bölls „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ durch, die mich nicht mehr los ließ. Sie handelt von einem rastlosen, westlichen Touristen, der einem mit seinem heutigen Fang zufriedenen Fischer beibringen will, dass er sich ein Fischerei-Imperium aufbauen sollte, um fortan nur noch beruhigt und dösend im Hafen sitzen zu können. „Aber das tue ich doch schon jetzt!“, antwortet dieser am Ende. Gefischt wird in der Geschichte nur so viel, wie man braucht. Nachhaltigkeit pur. Der Rest ist Müßiggang und Gelassenheit unter der Sonne des Mittelmeers. Für mich spielte diese Szene eindeutig in einem griechischen Hafen, irgendwo in Messenien.

Griechenland - Messenien - Fische

Rund um Messenien führt eine der neuen Radrouten auf dem Peloponnes. Messenien ist ein griechischer Verwaltungsbezirk im Südwesten des Peloponnes. 371 v. Chr. wurden als Folge der Verteidigung Spartas durch die Theber die Grenzen der Region während der Schlacht von Leuctra festgelegt. Diese beendete die 350-jährige Dominanz der Sparter auf dem Peloponnes. Das alte Messini nördlich von Kalamáta ist die einstige Hauptstadt.

Kaffeezauber

Oft geht es auf der messenischen Küstenradtour am Meer entlang zu kleinen Fischdörfern und Badeorten wie Petalídi (1), der ersten Station. Rund um den Dorfplatz spielen Männer in den Tavernen und Kafenions Tavli, bei uns als Backgammon bekannt. Man debattiert und diskutiert, ratscht über die, die vorbeigehen, und schlürft dazu griechischen Mokka. Radfahrer sollten dasselbe tun und eine lange Siesta einlegen. Den Kaffee dazu trinkt man sketo (ohne Zucker), metrio (mittelsüß) oder glyko (sehr süß). Manch einer lässt die Kugeln des Komboloí lässig durch die Finger gleiten. Zwar sehen diese Kettchen mit ihren Kugeln einem Rosenkranz ähnlich, haben jedoch keinerlei religiöse Bedeutung mehr. Man(n) spielt.

Griechenland - Messenien - Ausblicke zwischen Petalídi und Ágios Andréas

Ausblicke zwischen Petalídi und Ágios Andréas

Zweimal wird einem auch einiges an Höhenmetern abverlangt: Von Petalídi aus geht es lohnende 1.000 Höhenmeter hinauf zu den Wasserfällen von Polílimnio (2), die verschwitzte Radfahrer gleich in eine ihrer grünblau leuchtenden Gumpen und damit ins kalte Wasser locken. Um auf die westliche Seite des linken peloponnesischen Fingers zu gelangen, muss man einen kleinen Gebirgszug und 700 Höhenmeter überwinden. Langsam windet sich die Straße von Meeresniveau aus zwischen Zitrus- und Olivenbäumen hinauf auf die Höhen. Fotostopps sollte man immer wieder einlegen, denn die Ausblicke auf die Küstenlinie und Schnee bedeckte Gebirgszüge im Hintergrund sind einfach grandios.

Burgenland

Griechenland - Messenien - Blick auf Koróni und seinen Hafen

Blick auf Koróni und seinen Hafen

Im Blick zurück ist Koróni (3) zu erkennen mit seinem Kastell in venezianischer, byzantinischer und türkischer Bauweise, auf dessen Gelände auch Wohnhäuser und ein Nonnenkloster stehen. Eine der Nonnen klöppelt touristenwirksam im Klostergarten mit seinen blühenden Callas, Ringelblumen und duftendem Rosmarin vor sich hin, die andere lädt zu einem Besuch im Klosterladen mit seinen Ikonen und weiteren Kunstwerken.

Griechenland - Messenien - Bäckerei in Koróni seit 1925

Gebäck in der Bäckerei

Durch die Gassen des Fischerviertels der Stadt geht es wieder hinab. Der venezianische Löwe ziert eine Hauswand. So mancher Stein von der Festung wanderte wohl in den privaten Hausbau. Die Tür einer Bäckerei steht offen. „Seit 1925 ist sie schon in Familienbesitz“, weiß die freundliche Bäckerin und verschenkt einen Koulouraki, einen traditionell zum Kaffee gegessenen Keks.

Griechenland - Messenien - Hinter Falanthi: Der Gebirgszug ist erklommen, nun gibt es ein sattes Downhill Richtung Finikoúnda an die Küste

Hinter Falanthi: Der Gebirgszug ist erklommen, nun gibt es ein sattes Downhill Richtung Finikoúnda an die Küste

Hinab nach Finikoúnda (4) führt ein spektakulärer Downhill. Essen in der Taverne „5 FFFFF“ ist die Belohnung. Der Tisch scheint sich zu biegen, zunächst unter Mezédes, Vorspeisen, wie Tiganopsomo, frittiertem Teigbrot mit Oliven und Tomaten, Tsatsiki, Auberginenmus und frittierten Zucchini. „Dazu trinkt man meist Ouzo!“, erklärt Touristguide Dimitris. Vor dem Hauptgang präsentiert der Wirt die fangfrischen Fische zur Auswahl, und serviert dazu, natürlich, Retsina. „Kali Orexi!“, sagt man dann, guten Appetit. Die Wirtsleute meinen es ehrlich und wachen mit Argusaugen darüber, ob es schmeckt. Seit 1978 ist das Lokal in Familienbesitz. Doch was bedeutet 5 F? Nun, übersetzt auf Englisch sei es in etwa: „Friends bring friends, eat, leave“, meint der Wirt lachend. Ein Erinnerungsfoto muss sein und ich lande auf der Facebookseite des Lokals.

Griechenland - Messenien - in der Taverne „The 5 FFFFF“ in Finikoúnda: Der Wirt hält stolz den frischen Fisch in die Kamera

In der Taverne „The 5 FFFFF“ in Finikoúnda: Der Wirt hält stolz den frischen Fisch in die Kamera

Schon von weitem sieht man die venezianische Festung von Methóni (5), der drei unbewohnte Inseln vorgelagert sind. Auch hier findet sich der venezianische Löwe wieder: in der Burgmauer. Bis man im Inneren der Anlage angelangt ist, muss man einige mächtige Tore durchschreiten. Auf dem Platz thront eine byzantinische Säule, ein türkisches Bad ist zu erkennen. Auch diese Burg wurde von den Osmanen eingenommen: Man schrieb den 9. August 1500 als die Venezianer verloren.

Griechenland - Messenien - Die Burg von Methóni

Die Burg von Methóni

Hinab nach Pýlos (6), das ebenfalls mit einem Kastell protzt: Neo Kástro. Doch mich lockt es auf den riesigen von Kafenions und Ouzerien gesäumten Hauptplatz ins KaΦΦeneion ΠΛΑΤΑΝΟΣ, wo ich mir einen Frappé gönne, aufgeschäumten, kalten Nescafé. Wasser gibt’s, wie überall hier, kostenlos dazu. Das freut den Radfahrer. Pýlos war einst das Zentrum der mykenischen Welt in Messenien. Über die Jahrhunderte kamen Byzantiner, Franken, Venezianer und Türken. Berühmt berüchtigt ist die Schlacht von Navarino am 20.10.1827, die entscheidend für die Unabhängigkeit Griechenlands war. Auch Homer berichtete in seiner „Odyssee“ von Pýlos und die fränkisch-griechische Bedienung in der Taverne erzählt: „Es gibt einen schönen Film, der hier und in der Ochsenbauchbucht spielt namens 'Gott liebt Kaviar'“.

Griechenland - Messenien - an der berühmten, weit geschwungenen Ochsenbauchbucht

An der berühmten, weit geschwungenen Ochsenbauchbucht

Runter vom Rad, rein ins Boot. Iannis schaukelt mich in seinem Boot gen Próti (7). Der Kapitän hat einige Schoten über die Insel auf Lager und erzählt, dass die alten Inschriften auf den Felswänden Botschaften der einstigen Kapitäne sind, die sich hier verewigt haben: Wünsche für eine gute Reise als mittelalterliches Graffiti. „Auf dem Krokodil leben Ziegen, die die früheren Einwohner hier zurückgelassen haben. Im August stellen wir ihnen Wasser hin, und schon haben wir sie!“ lacht Iannis. Krokodil nennen die Einheimischen Próti wegen seiner Form. Unter uns im Wasser ist ein Schiffswrack von 1914 zu sehen, oben auf der Insel ein Kloster.

Griechenland - Messenien - Insel Proti - „Graffiti“, Inschriften früherer Seefahrer

„Graffiti“, Inschriften früherer Seefahrer

Strandland

In Giálova (8) führt eine kleine Nebenstraße am langen Sandstand entlang. Über Feldwege geht es zur weit geschwungenen Ochsenbauchbucht, die den Namen aufgrund ihrer Form trägt. Im seichten Wasser plantschen juchzend Kinder, Vater angelt mit seiner Rute. Weiß blitzt der Strand im Sonnenlicht, grünblau das Wasser der Bucht. Ein Highlight ist auch die Bucht um Kaló Neró, zu Deutsch gutes Wasser, mit ihren endlos scheinenden Stränden und einer weiteren Attraktion: den unter Naturschutz stehenden Karetta-Wasserschildkröten. Wer Glück hat und in den Sommermonaten hier ist, bekommt vielleicht frisch geschlüpfte Babys zu Gesicht.

Man sieht viele hübsche Strände und Buchten auf dieser Radroute, doch können nicht alle hier ausgiebig gewürdigt werden. Meist fährt man auf kleinen Nebenstraßen oder Feld- oder Strandwegen und manchmal auch auf der großen Nationalstraße durch die Lande, am Meer entlang, durch Orangen- oder Olivenhaine, vorbei an Bauernhöfen und Fischerdörfern. Einen glatt asphaltierten Radweg darf man nicht erwarten, das versteht sich von selbst. Aufzupassen gilt es bei Schlaglöchern oder holprigen Wegen, bei Autoverkehr oder auch bei so manchen Hunden, die wie von der Tarantel gestochen aus Gutshöfen schießen und Radfahrer jagen möchten. Wen das nicht stört, der wird unvergessliche Erlebnisse mit nach Hause bringen.

Griechenland - Messenien - griechische Flagge

Ob der Peloponnes nun eine Insel ist, oder nicht, darüber ließe sich wegen des Kanals von Korinth trefflich streiten. Auch ob es der oder die Peloponnes heißen muss, ist strittig. Gelassenheit ist angesagt. Oder weiterfahren? Der Küstenradweg rund um den Peloponnes ist bereits in Planung. Ich setze mich neben einen Fischer. Minutenlang fällt kein Wort. Die weiß-blaue griechische Flagge knattert im Wind. Wie schön wäre es, einfach hier bleiben zu können, aufs blaue Meer und in die weißen Wolken zu starren. „Aber das tue ich doch schon jetzt!“

 

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