Perche

Im Süden der Normandie

Text und Fotos: Ralf Nestmeyer

Bei dem Namen Perche zucken selbst Frankreichliebhaber unwissend mit den Schultern. Im Gegensatz zum Périgord oder der Auvergne ist der Perche jenseits des Rheins ziemlich unbekannt. Und selbst wenn man die Percherons – eine stattliche Kaltblut-Pferderasse, die aus dem Perche stammt – erwähnt, können nur wenige den Landstrich verorten.

Frankreich - Normandie - Perche - Percherons

Kein Wunder, dass man im Perche deutschen Touristen nur selten begegnet. Auf die Bewohner von Paris hingegen üben die sanften Hügel mit ihren Pferdekoppeln und ausgedehnten Waldgebieten schon seit langem eine große Anziehungskraft aus. Nur zwei Autostunden von der französischen Hauptstadt entfernt, scheint dieser südlichste Zipfel der Normandie den Vorstellungen von „La France profonde“, dem bäuerlichen ursprünglichen Frankreich, recht nahe zu kommen. Dünn besiedelt, ohne Hektik und garantiert ohne Métroanschluss.

Auch Carol und Pietro Cossu-Descordes hatten ursprünglich nur nach einem abgeschiedenen Anwesen gesucht, das von Paris aus leicht zu erreichen ist, um dort die Wochenenden und die Ferien zu verbringen. Monatelang erkundeten sie das Département Orne, bis sie schließlich im Jahr 2003 durch Zufall unweit des Weilers Moutiers-au-Perche eine heruntergekommene „Longère“ aus dem 17. Jahrhundert entdeckten – unter einer Longère versteht man in Westfrankreich einen langgestreckten Bauernhof, der durch Anbauten nach Bedarf verlängert werden kann und sich im Fall der fast herrschaftlichen Domaine de la Louveterie (1) über rund vierzig Meter erstreckt.

„Wir wussten sofort, dass unsere Suche ein Ende hat, als wir das an einem sonnigen Hang über dem Vallée de la Corbionne gelegene Gehöft sahen“, erzählt Pietro Cossu-Descordes begeistert. „Allerdings mussten wir ziemlich viel Arbeit investieren, denn das Haus war mehr als 20 Jahre unbewohnt und bestand nur noch aus den Grundmauern und dem Dach. Bei der Renovierung der Longère konnten wir uns an historischen Fotografien orientieren.“ Das ländliche Leben mit der eigenen Pferdekoppel gefiel ihnen so gut, dass sie nach kurzer Zeit beschlossen, ihren Lebensmittelpunkt in den Perche zu verlegen und ein Chambres d’hôtes zu eröffnen.

Frankreich - Normandie - Perche - Domaine de la Louveterie

Bei dieser in Frankreich inzwischen weit verbreiteten Unterkunftsform handelt es sich nicht um ein paar einfache und langweilig möblierte Gästezimmer, sondern meist werden in ländlichen Anwesen, gelegentlich auch in schmucken Stadtpalästen oder Schlössern, ein oder mehrere Zimmer an Gäste vermietet. In ihrer besonders noblen Form werden diese Chambres d’hôtes auch als Maison d’hôtes bezeichnet. Gesetzlich ist nur geregelt, dass nicht mehr als fünf Zimmer an bis zu 15 Gäste vermietet werden dürfen und der Vermieter im gleichen oder einem angrenzenden Gebäude wohnen muss.

Und Platz gab es in der Domaine de la Louveterie genug. Die drei Zimmer und zwei Suiten sind in unterschiedlichen Stilen eingerichtet, wobei die Gäste beispielsweise zwischen einem maurischen sowie einem chinesischen Dekor oder dem Flair der 1950er-Jahre wählen können. Besonders großzügig ist die traditionelle Suite „XVIIIème“ mit offenem Kamin und schwerem Holzmobiliar.

Gelegentlich müssen zwar Pietro, der für Firmen Personalschulungen anbietet, und Carol, die als Food-Fotografin arbeitet, noch nach Paris fahren, doch sind die Ausflüge in die Großstadt seltener geworden. Es gibt einen modernen Seminarraum auf dem Grundstück und Carol hat das Stativ ihrer Kamera derzeit auf eine riesige Eiche vor dem Haus gerichtet. Ein ganzes Jahr lang will sie täglich ein Bild von dem mächtigen Baum machen.

Auf die Frage, ob die Pferde auf der Weide hinter dem Swimmingpool Percherons seien, schüttelt Pietro mit dem Kopf: „Nein, dies sind ein Trotter und ein Selle Français“. Percherons sind anscheinend weniger häufig anzutreffen als erhofft. Wer in der Hoffnung ein paar Percherons zu sehen, bei Ausflügen immer wieder den Blick auf die Weiden links und rechts des Weges wirft, wird in der Regel nicht so leicht fündig. Die wuchtigen Kaltblutpferde – in der überwiegenden Zahl Rappschimmel – waren einst vor allem als Arbeitspferde beliebt. Bei einem Gewicht von rund 900 Kilogramm können sie auch Pflüge oder Kutschen durch unbefestigtes Gelände ziehen. Da Percherons, die wegen ihrer Körpermasse auch zur Fleischproduktion gezüchtet wurden, sehr wendig sind und sich gut zum Reiten eignen, nehmen Spezialisten an, dass es sich bei dieser Rasse um Nachfahren jener Pferde handelt, die einst auch Ritter mit ihrer schweren Rüstung tragen konnten.

Bei der Besichtigung des Manoir de Courboyer (2) hat die Suche auf jeden Fall ein Ende: Hinter dem wehrhaften Herrenhaus aus dem späten 15. Jahrhundert und dem zugehörigen Informationszentrum des 1998 gegründeten Parc naturel régional du Perche steht eine kleine Herde Percherons auf der Koppel. Allerdings sind die Pferde dann doch nicht so imposant wie gedacht und von dem 2,13 Meter hohen Stockmaß des berühmten Percheron-Hengstes Dr. Le Gear sichtlich weit entfernt.

Frankreich - Normandie - Perche - Manoir de Courboyer

Sieht man einmal von dem 4100 Einwohner zählenden Mortagne-au-Perche (3) ab – übrigens der Geburtsort des Philosophen Alain sowie des französisch-schweizerischen Schriftstellers Alex Capus –, so ist der normannische Perche noch immer deutlich landwirtschaftlich geprägt. Architektonisch auffallend sind die großen, teilweise befestigten Bauernhöfe sowie die zahlreichen Herrenhäuser und Klöster, darunter die berühmte Abbaye de la Trappe (4) oder die im 11. Jahrhundert gegründete Prieuré Sainte-Gauburge.

Frankreich - Normandie - Perche - Prieuré Sainte-Gauburge

Als Grafschaft bildete der Perche jahrhundertelang eine politische Einheit; sie reichte bis ins heutige Département Eure-et-Loire. Nachdem die Region in den Religionskriegen verwüstet worden und verarmt war, suchten viele Bewohner ihr Glück in der Neuen Welt und wanderten ab 1634 nach Louisiana und vor allem nach Kanada aus, um sich in der Gegend von Québec niederzulassen. Viele kanadische Familiennamen wie Gagnon, Duchesne oder Giguère lassen sich in den Perche zurückverfolgen. Zu den bekanntesten Persönlichkeiten, deren Vorfahren aus dem Perche stammen, gehören Céline Dion, Angelina Jolie, Madonna und Hillary Clinton.

Das Musée de l’Émigration in der kleinen Ortschaft Tourouvre (5) schildert auf ansprechende Weise das Schicksal der Auswanderer. Mit historischen Bildern, Schautafeln und nachgebauten Blockhütten wird ein spannendes Geschichtskapitel von der Atlantiküberquerung bis hin zum Alltagsleben illustriert.

Am Abend versammeln sich die Gäste der Domaine de la Louveterie an der gemeinsamen Tafel, denn Carol und Pietro bieten nach Vorbestellung ein dreigängiges Abendessen (Table d’hôtes) inklusive Wein und Getränken an, wobei die Zutaten teilweise aus dem eigenen Biogarten stammen.

Die zwanglosen Gespräche, die sich dabei ergeben, sind mitunter der schönste Teil dieser Urlaubsform. Mit einem Pariser Wirtschaftsjournalisten, der das Wochenende mit seiner Familie in der Perche verbringt, wird über die Probleme, die sich durch die Wahl von François Hollande und den wirtschaftspolitischen Ansichten Angela Merkels abzeichnen diskutiert; Carol verrät das Rezept ihres köstlichen Erdbeersoufflés, und Pietro schwärmt von einer Buchhandlung in Bellême, die über ein für eine Kleinstadt unerwartet großes Sortiment verfügt und von seinem Bekannten Philippe, der in Mortagne-au-Perche ein liebenswertes Feinkostgeschäft mit dem verführerischen Namen „La Vie en rouge“ betreibt.

Frankreich - Normandie - Perche - La vie en rouge – ein Feinkostladen nicht nur für Blutwurst

Selbstverständlich kann man im „La Vie en rouge“ auch die berühmte Boudin noir kaufen oder eine Portion an einem der vier kleinen Tische probieren. Die schwarze Blutwurst ist das kulinarische Aushängeschild von Mortagne-au-Perche. Es gibt nicht nur einen Blutwurstmarkt, sondern alljährlich wird im März auf der Foire au boudin sogar ein Wettbewerb mit Blindverkostungen von mehr als 500 Blutwürsten aus ganz Europa ausgetragen. Die Sieger werden mit einem Ritterschlag zu Mitgliedern der Bruderschaft Chevalier du Goûte Boudin ernannt und müssen auf Grill und Gabel schwören, mindestens einmal in der Woche Blutwurst zu essen.

 

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