El Salvador im Überblick

Als der spanische Conquistador Pedro de Alvarado das heutige El Salvador als Provincia de Nuestro Señor Jesucristo El Salvador del Mundo (Provinz unseres Herrn Jesus Christus, des Erlösers der Welt) dem spanischen Kolonialreich einverleibte, konnte er nicht ahnen, dass Jahrhunderte später ein junger Dichter namens Roque Dalton die Beute des Alvarado als „pulgarcito de Centroamérica“ apostrophieren würde, als „Däumling Zentralamerikas“. Dabei spielte er nicht auf dessen wundersame Kleinheit an, sondern auf seinen Witz und Einfallsreichtum, seine Gerissenheit. Und davon kann man in diesem Land der verstörenden Widersprüche und unzähligen Wirklichkeiten gar nicht genug haben.

Sie sprechen frei heraus, arbeiten hart, wirken energisch, ein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn zeichnet sie aus. Fremden gegenüber sind die Salvadoreños freundlich und hilfsbereit. Und nirgendwo treten die starken Kontraste zwischen reich und arm, mächtig und ohnmächtig, die so massiv auf ihr Leben einwirken, deutlicher hervor als in ihrer Metropole San Salvador. Gottlob zählt sie nicht zu den tosenden lateinamerikanischen Megacities, die jeden Neuankömmling verzweifeln lassen. Mag es ihr auch an kolonialem Charme mangeln – ihr chaotisches und heruntergekommenes altes „Centro“ soll eines fernen Tages in altem Glanz wiedererstehen – dafür übertrifft sie mit ihrer Weltläufigkeit, ihrem kosmopolitischen Flair jede andere Stadt Mittelamerikas. Eingebettet in ein Hochtal, linker Hand überragt von ihrem „Hausberg“, dem dreigipfligen Quezaltepeque-Vulkan, und rechter Hand umspült von ihrem „Haussee“, dem Ilopango, bietet San Salvador ein angenehmes Klima in reizvoller Landschaft mit allen Zutaten einer modernen, pulsierenden Halbmillionenstadt. Einer der Krater ihres „Hausbergs“, der 1917 zum vorerst letzten Mal seine Lavamassen ausschüttete, lässt sich bequem in 20 Minuten mit dem Auto auf 1.900 m „erklimmen“ und bietet spektakuläre Ausblicke in die Krater, auf die Stadt und den See. Eine halbe Stunde nordöstlich der etwas aufgedrehten Metropole verspricht Suchitoto kleinstädtisch-ländliches Flair mit  Kopfsteinpflastergassen, einer schneeweißen Kirche Santa Lucia, einem Theater, das gerade mit einer 50.000-Dollar-Spende der deutschen Botschaft restauriert wurde und vielen ansehnlichen Gebäuden aus der Kolonialzeit. Und: das Städtchen liegt am malerischen Suchitlán-See! 

Auf den Spuren der Vergangenheit

An einem frühen Abend im August des Jahres 595 explodierte der Loma Caldera-Vulkan. Gewaltige Magma- und Aschemassen gingen im Umkreis von drei Kilometern nieder, türmten sich zu einer fünf bis sechs Meter hohen Schicht auf und begruben auch die Siedlung, die man heute Joya de Cerén nennt, keine dreißig Minuten von San Salvador entfernt. Durch Zufall kam sie wieder ans Licht, als sich 1.400 Jahre später ein Bulldozer im Gelände zu schaffen machte. Nun sind Paläste und Pyramiden altamerikanischer Kulturen schon häufig freigelegt worden, aber die Reste eines Bauerndorfes zu entdecken – das kam einer Sensation gleich. Die Bewohner hatten alles stehen und liegen lassen und waren in Panik geflohen. So bekam man erstmals einen Einblick in das Alltagsleben vor 1.400 Jahren. Neben Wohn- und Lagerhäusern wurden ein Bade- und ein Gemeinschaftshaus und auch ein religiöses Zentrum freigelegt. Man entdeckte Töpferwaren, geflochtene Körbe, Werkzeuge und Vorräte, selbst Essensreste hatte die meterdicke Lavaschicht konserviert. In Joya de Cerén, so eine Vermutung der Archäologen, lebten die Bewohner besser als so manche salvadorianische Familie heute. Ihre Häuser waren erdbebensicher und dem Klima angepaßt, die Ernährung abwechslungsreicher. Das „Pompeji der Neuen Welt“ steht auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes. Archäologen werden noch über Jahre auf dem Gelände tätig sein, Besucher sind willkommen.

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Nur drei Kilometer weiter liegt San Andrés, vom 5. bis 10. Jahrhundert regionales Zentrum der Maya mit weitreichenden Handelsbeziehungen. Von dem ursprünglichen Stadtgelände ist erst ein Bruchteil freigelegt. Eine restaurierte Pyramide mit zwei Terrassen und ein kleines, aber exzellent ausgestattetes Museum können besichtigt werden. Der an altindianischen Siedlungen und Kultstätten reiche Westen El Salvadors birgt mit Tazumal ein weiteres Highlight. Die weitläufige Anlage wurde zwischen 100 und 1200 als zeremonielles Zentrum der Maya genutzt. Stufenpyramiden, Terrassen und ein Ballspielplatz sind freigelegt worden, zahlreiche Funde bezeugen Handelsverbindungen bis nach Mexiko im Norden und Panama im Süden. Casa Blanca, ganz in der Nähe, erlebte eine Blütezeit zwischen 400 v. Chr. und 250 n. Chr. Drei von sechs pyramidenähnlichen Strukturen wurden bisher ausgegraben. Die dabei zutage geförderten Fundstücke sind im kleinen Museum zu bestaunen. 

Im Land der Vulkane

Gleich zwei Bergzüge, gespickt mit 25 Vulkanen, durchziehen das Land. Die meisten scheinen sich dauerhaft auszuruhen, einige sind aktiv, rumoren ab und zu und stoßen plötzlich Asche aus, um sich ebenso unvermittelt wieder zu beruhigen. Und immer wieder bewegt sich der Boden unter den Füßen: Ist es nun der nahegelegene Vulkan, der sich für einen neuen spektakulären Auftritt präpariert? Wahrscheinlicher ist ein Erdbeben, ein fast schon alltägliches Vorkommnis, liegt El Salvador doch in der Kontaktzone von gleich drei Platten der Erdkruste: Kokos-Platte, Karibische und Amerikanische Platte reiben und schieben sich über- und untereinander – El Salvadors Untergrund ist ein Hexenkessel seismischer Aktivität.

Der schöne Kratersee Coatepeque und drei Vulkane, wie in Reih und Glied aufgestellt, bilden das Herzstück des Parque Nacional de los Volcanes, eine der eindrucksvollsten Landschaften El Salvadors. Der Cerro Verde, 2.030 m hoch, stellte seine Aktivitäten schon vor etwa 2.500 Jahren ein. Später wuchs in seinem Krater ein Wald heran (man kann zu ihm hinabsteigen) und ein Vier-Sterne-Hotel entstand in den 60er Jahren hoch oben am Hang, allein um seinen Gästen eine komfortable Aussicht auf das Spektakel des gegenüberliegenden feuerspeienden Izalco-Vulkans zu bieten. 1772 war dieser zum ersten Mal ausgebrochen und mit jeder neuen Eruption wuchs sein Kegel, bis er schließlich eine Höhe von 1.910 m erreicht hatte. 1966 erlosch er urplötzlich, doch gilt er noch als aktiv. Man kann seine grauen Lavahänge in zweieinhalb Stunden besteigen. Der Santa Ana-Vulkan ist der letzte des Dreigestirns. Er erreicht 2.365 m. In einem seiner vier Krater hatte sich ein Schwefelsee gebildet, der während der jüngsten Eruption, am 1. Oktober 2005, spurlos verschwand. Auf schmalen Pfaden kann man ihn in vier Stunden besteigen, aber erst nachdem die Vulkan-Wacht ihr o. k. gegeben hat. Und noch ein Vulkan: der Chaparrastique nahe der Stadt San Miguel, ein noch aktiver Berg, der gelegentlich Rauchspiralen, Staub und Asche ausstößt, „in no way a threat to visitors“, heißt es beruhigend. Imposant aus der Küstenebene aufsteigend, reichen seine üppig bewachsenen Hänge bis in 2.132 m Höhe. Lokale Führer bringen Wanderer hinauf zum Kraterrand, der phantastische Ausblicke auf den von Besuchern etwas vernachlässigten Osten des Landes eröffnet: Auf das Bergland von Morazán mit dem Städtchen Perquin, einer FMLN-Hochburg während des Bürgerkriegs, worüber das dortige „Museo de la Revolución“ informiert, auf den Fonseca-Golf, der weit und tief, bald einen großen Hafen erhalten wird oder auf die Bucht von Jiquilisco mit ihren von Mangroven umkränzten Inseln, einem Paradies für Tausende von Pelikane und Reiher.

Zu den Kaffee-Fincas

Von der Distrikthauptstadt Sonsonate, westlich von San Salvador, steigt die Straße steil an, erreicht das von Indígenas besiedelte Handwerkerdorf Nahuizalco und überwindet in Salcoatitán bereits die 1.000 m-Marke. Auf den Feldern dieses Dorfes wurden in den 1860er Jahren erstmals Kaffeebüsche gepflanzt – eine Premiere für El Salvador und der Beginn einer Erfolgsstory. Noch etwa höher liegt Juayua, ein beliebter Ausflugsort mit kleinen Hotels, dann, nun schon 1.450 m hoch, fährt man auf kopfsteingepflasterten Straßen in Apaneca ein, wo einige der besten und hochprämierten Kaffeesorten gedeihen. Viele Fincas bieten geführte Touren durch ihre Plantagen an, Kaffeeproben nach Herzenslust eingeschlossen. Es sind mild-aromatische Sorten, die man hier oben anbaut, ausgewogen und von feiner Säure, mit vollem weichen Geschmack, einem kraftvollen, aber nicht zu schweren Körper. 23.000 Produzenten gibt es im Land, von denen viele nach dem Preisverfall der vergangenen Jahre hoch verschuldet sind. Große Anbauflächen wurden aufgegeben, was sich auf die Kulturlandschaft nachteilig auswirkte. 2005/06 kam die Wende. Die Produktion steigt wieder und mit ihr die Erlöse. Gezielte Fördermaßnahmen, Verbesserungen der Produktionsabläufe und Qualitätssteigerungen haben die Geschäfte mit dem Kaffee neu belebt. Von Tabuca am Ende der „Ruta de Café“ läßt sich, gleichsam durch die Hintertür, einer der wenigen Nationalparks El Salvadors erwandern. El Imposible ist ein tropischer Bergwald in Höhen zwischen 300 und 1.450 m. Allein 400 Baumarten gedeihen in dem zerklüfteten Gelände voller Wildbäche und Wasserfälle, Rückzugsgebiet (auch Rastort für Zugvögel) für mehr als 280 Vogel- und über 500 Schmetterlingsarten und gefährdete Vierbeiner wie Ozelot, Puma und Ameisenbär.
Die Naturschutzidee ist nicht gerade populär im Land, weder in der breiten Öffentlichkeit noch auf politischer Ebene. Was eine schädliche Umweltbewirtschaftung hervorruft, ist vielerorts sichtbar: Raubbau reduziert die Waldflächen, Bodenerosion setzt ein, die ursprüngliche Artenvielfalt verkümmert. Um so erfreulicher, dass hoch im Norden, an der Grenze zu Guatemala, 1987 ein weiterer Nationalpark eingerichtet wurde. Montecristo ist zweifellos einer der spektakulärsten Naturräume des Landes, isoliert, unberührt, hoch gelegen, eine Nebelwaldlandschaft, sehr feucht (2.000 mm Niederschlag) und kühl, Heimstatt von Eichen und Lorbeerbäumen, die mit vielen anderen Baumarten ein dichtes Blätterdach bilden, durch das kaum ein Sonnestrahl dringt. Orchideen (mehr als 70 Arten) und Pilze gedeihen prächtig in diesem Klima, auch Flechten, Moose und Baumfarne. Klammeraffen und Ameisenbären haben hier ihr Refugium, Stachelschweine, Stinktiere, Opossums und immer seltener: Pumas.

Am Pazifik

„The best waves in Central America!“, tönt ein Adonis mit dem Surfboard unter dem Arm. Und er muß es wissen, er ist ein Surfprofi. Selbst Surflaien sind beeindruckt: Es sind phänomenale Wellen, die in steter Folge heranrollen, sich rasend schnell hoch auftürmen, um sich tosend zu überschlagen und den Strand hinauf zu rasen. Punta Roca ist solch ein Traumstrand für Surfer, El Sunzal ein weiterer (besonders während der Monate November bis Februar) und noch ein anderer heißt El Zonte, alle im weiteren Umkreis der kleinen Hafenstadt La Libertad und nur 30 bis 50 km südlich der Hauptstadt.

Taucher finden ihr Revier vor Los Cóbanos mit dem einzigen Felsenriff Zentralamerikas, Heimstatt einer artenreichen Fauna und Flora und so etwas wie ein biologischer Korridor für allerlei Seegetier zwischen Mexiko und Südamerika. Wer sich in grauen, an manchen Strandpartien sogar schwarzen Sand betten mag, findet ihn weit im Westen. Metalío und Costa Azul heißen die Strände. Richtig highlife ist an der Costa del Sol mit bester Hotelinfrastruktur, Bars, Beachparties, Wochenendgedränge. Ruhiger geht es zu im Osten, wo schwarzsandige, mit Felsen durchsetzte Strände wie die von Playas Negras und Las Tunas auf Surfer, Badelustige und Sonnenanbeter warten.

Wenn man von San Salvador an die Küste fährt, passiert man das Städtchen Olocuilta, berühmt für seine „Pupusas“, die sich die Salvadoreños immer und überall schmecken lassen. Doch nirgendwo mundet ihr Nationalgericht besser als hier. Es sind Tortillas aus Maismehl oder auch Reisteig, in der Pfanne gebraten und gefüllt mit Käse, Bohnen, Fleisch. Und wenn sich spätesten nach dem zehnten  mißlungenen Surfritt der Hunger wieder meldet, sollte man eine Mariscada ordern, die berühmte cremige Suppe aus Venusmuscheln, verschiedenen Fischen, Garnelen und Krebsen, sich dann in die Hängematte zurückziehen und den Klängen der Mariachis lauschen.   

Text: Eckart Fiene





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