Die Ruhe genießen

Wandern auf dem Harzer Hexen-Stieg

Text und Fotos: Angelika Wilke

Von Hannover, Göttingen, Halle und Magdeburg aus ist es nur ein Katzensprung in den Harz. Noch im Oktober, wenn in alpinen Höhen bereits der erste Schnee fällt, kann man im Harz wandern – sogar mehrere Tage lang, wie auf dem West-Ost-Querweg durch Deutschlands nördlichstes Mittelgebirge, dem 2003 eingerichteten Harzer Hexen-Stieg. Er wurde 2008 vom Deutschen Wanderverband als Qualitätsweg ausgezeichnet. Darüber freut sich die Tourismusbranche in der Region des Harzes, das mit einer Fläche von 247 Quadratkilometern ein vergleichsweise kleines Gebirge ist.

Deutschland - Harz - Hexen-Stieg

Feste bequeme Schuhe sind ganz wichtig

Ausgangspunkt Osterode

Auf dem Rücken den Rucksack, im Bauch eine Portion Skepsis, folgen wir in Osterode dem ersten Wegweiser mit grün-weißem Hexen-Emblem hinter dem Bahnhof. Warme Oktobersonne lässt den Wald wie im Indian Summer, dem kanadischen Altweibersommer, leuchten. Und da halten auch schon drei fidele Rentner auf uns zu: Wohin wir zwei Frauen denn des Weges seien, möchten sie wissen. Sie brauchen ein bisschen länger, um zu erzählen, wie der eine Mann, ein Deutscher, und seine dänische Frau zusammengefunden haben. Wenn das so weitergeht, halten wir zwar nette Schwätzchen, aber die Bergromantik ist bei so viel Geselligkeit natürlich zum Teufel.

Deutschland - Harz - Harzhexe

Harzhexe

Wir haben dem Hexen-Stieg jedoch Unrecht getan: Er ist kein Massenwanderweg, zumindest nicht im Oktober. Auf halber Höhe geht es am Berg entlang, unten schlängeln sich die Häuser des Dorfes Lerbach durchs Tal. Es ist Samstagnachmittag, also beste Spaziergehzeit, aber keine Menschenseele lässt sich blicken.

Deutschland - Harz - Frühe Abendstille über Buntenbock

Frühe Abendstille über Buntenbock

Unser Ziel für diesen Tag ist Buntenbock. Hier sind trotz der 300 Gästebetten die Straßen gähnend leer, die meisten Gaststätten geschlossen. In Karla Hilles Pension „Hoheneck“ erschreckt mich beim Betreten des Badezimmers auf dem Flur kein weiterer Gast, sondern eine Monsterspinne an der Decke – aber nein, es ist zum Glück nur eine altertümlich-bizarre Konstruktion, mit der man den Duschvorhang um die ganze Badewanne herum ausbreiten kann. Am nächsten Morgen drückt Frau Hille zum Abschied jeder von uns ein Fläschchen Schnaps in die Hand. Das kommt erstmal in den Rucksack.

Über dem Oberen Nassenwieser Teich schwebt Nebel. Auf Anzeichen dafür, dass im Harz viel gewandert wird, stoßen wir erst wieder an der „Huttaler Widerwaage“: Hier steht eins der 222 über den Harz verteilten Kästchen mit Stempeln darin, die man sich zum Sammeln in den Wanderpass drücken kann. Interessanter ist aber die „Widerwaage“ selbst. Sie stammt aus dem 18. Jahrhundert und diente dazu, den Wasserspiegel zeitweise so abzusenken, dass die Strömung im „Huttaler Wasserlauf“ ihre Richtung wechselte. Vor 400 Jahren war der Harz nämlich alles andere als ein einsames Gebirge. Das Wasser seiner Bäche wurde mehr und mehr abgeleitet, um dessen Fließkraft für den Bergbau zu nutzen. Der Abbau von Eisen-, Silber- und Bleierzen war ein lohnendes Geschäft für die Landesherren. Ihren Reichtum feierten sie bei fröhlichen Gelagen in der Zeche Dorothea, die nördlich des Hexen-Stieges liegt. Mit „Lichtern, Blumen und Laubwerk“ sowie einer langen Speisetafel wurde dann, so schreibt der Dichter Heinrich Heine in seiner „Harzreise“ von 1824, ein Stollen zum Festsaal umfunktioniert.

Deutschland - Harz - Ohne die Nutzung der Gewässer wäre im Harz kein Bergbau möglich gewesen

Ohne die Nutzung der Gewässer wäre im Harz kein Bergbau möglich gewesen

Alte Dämme, Gräben und Wasserläufe begleiten den Stieg über weite Strecken zwischen Buntenbock und Torfhaus. Im schier endlosen Wald konkurrieren Sträucher und Gräser um jeden lichten Standort. Weitblick haben wir erst wieder oberhalb von Altenau. Hier treffen wir eine Mutter mit Kindern auf Tagesausflug. „Immer noch sieben Kilometer bis zum Dammhaus“, stöhnt die Tochter. Inzwischen glitzert die Sonne silbern auf den Regentropfen im Fichtengeäst, Buchenschößlinge lodern wie Feuer. Kurz vor Torfhaus eilt uns, in seinen Kurven leise murmelnd, das Bächlein Nabe entgegen. Einige Felsungetüme erschweren das Weiterkommen, aber schließlich genießen wir von 800 Metern Höhe aus den Blick hinunter ins Tal. Abends, vor der Torfhauser Jugendherberge, tanzen Schneeflocken vom sternenlosen Himmel.

Beim Frühstück grüßt der Brocken, mit 1142 Metern der höchste Harzberg, in der Morgensonne durchs Fenster. Fast verlockt dieser Anblick, doch der Variante des Hexen-Stieges zu folgen, die über den Brockengipfel nach Drei Annen Hohne führt. Wir haben jedoch, um nach einem anstrengenden Tag nicht noch ein Quartier für die Nacht suchen zu müssen, alles vorgebucht - so für diesen Abend in Braunlage.

Durch den Nationalpark Harz

Deshalb wandern wir, wie geplant, auf der Südroute des Hexen-Stieges weiter. Hier, im 1994 gegründeten Nationalpark Harz, wird es eindeutig wild. Das Wasser sucht sich seinen Weg unkontrolliert durch Moore und zwischen Hochstämmen – heute allerdings nicht, denn es ist gefroren. Die Schlitterpartie über Wurzeln nennt sich „Märchenweg“ und endet am Oderteich, der 1722 angelegt wurde und als älteste Talsperre Deutschlands gilt. Nur zwei Wasseramseln turnen auf den Steinen am Ufer herum, und wir begreifen allmählich, dass wir Nachzügler in der Wandersaison sind.

Deutschland - Harz - Weg durchs Moor am Oderteich

Weg durchs Moor am Oderteich

Den Duft von sonnenwarmem Holz und Café Latte in der Nase lassen wir uns an der Südwestwand der  Gaststätte „Rinderstall“ die Sonne ins Gesicht scheinen. Schon seit 1870 genossen hier im Odertal braune Harzrinder aus St. Andreasberg die sommerlichen Weidegründe um den „Rinderstall“ herum. Die Hirten verdienten sich mit Milch für vorbeikommende Wanderer etwas dazu. Das Geschäft florierte, so dass in den 50er Jahren zum Gasthaus umgebaut wurde.

Deutschland - Harz - Hexenstieg - Gasthaus Rinderstall

Gasthaus Rinderstall

Hinter Braunlage, dem betriebsamsten Ferienort im Harz, wird es richtig still: Mit der Überquerung des  Bächleins Bremke betreten wir ehemaliges DDR-Gebiet. Von 1952 an bis 1989 riegelte die DDR hier mittels einer fünf Kilometer breiten Sperrzone die Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten ab. Der Hexen-Stieg durchquert die alte Sperrzone nur. Sie heißt jetzt „Grünes Band“ -  denn wo Menschen nicht hindurften, haben sich Tiere und Pflanzen angesiedelt; gefährdete Vogelarten wie Braunkehlchen, Ziegenmelker oder das seit dreißig Jahren im Harz ausgewilderte Auerhuhn sind darunter.

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Am Friedhof des Tropfsteinhöhlen-Ortes Rübeland gibt es leider keinen Hinweis darauf, dass unsere Pension auf gleicher Höhe (459 Meter) nur wenige hundert Meter rechter Hand liegt. 25 Kilometer haben wir an diesem Tag schon hinter uns und sind deshalb wenig erbaut davon, 90 Höhenmeter in das enge Rübeländer Tal abzusteigen, um dort zu erfahren, dass wir sie am anderen Ende des Ortes wieder hochlaufen müssen. Rübeland selbst scheint diese Mühe ebenfalls nicht wert: Der Lärm von Eisenbahn- und Autoverkehr hallt zwischen den Bergen wider, die Häuser wirken grau von den Abgasen.

Deutschland - Harz - Auf dem Weg nach Rübeland

Auf dem Weg nach Rübeland

„Fix und fertig sind die!“, kommentiert ein Pensionsgast, der vor der Haustür der Harzbaude Susanne gemütlich eine Zigarette schmaucht. „Ich hätte schon längst ein Schild am Friedhof anbringen lassen“, entschuldigt sich die junge Inhaberin Andrea Kühnold. Bislang sei das jedoch nicht genehmigt worden. Ihr Schäferhund betrachtet uns abschätzig, behält dann aber seinen Gummiball im Fang. Die sind sowieso zu schlapp für das Wirf-und-hol-Spielchen, ist wohl sein Eindruck.
Frau Kühnold serviert uns in ihrer mit Holz verkleideten Kellergaststätte einen überdimensionalen „Strammen Max“ -  wer schafft eine solche Portion? Vermutlich die gestandenen Mannsbilder, die hier in der Gegend vorübergehend „auf Arbeit“ sind und derweil in der Harzbaude Susanne logieren. „Aber wir haben ja noch unseren Schnaps als Verteiler“, meint meine Freundin, nachdem wir unsere Spiegeleier-Bäuche die Treppen des ehemaligen DDR-Wohnblocks wieder hochgeschleppt haben.

Die Etappe am nächsten Tag führt meistens an der Bode entlang, noch fließt sie ruhig neben uns her. Als sei es der trübe Tag, an dem selbst das bunte Laub kaum noch leuchtet, nicht wert, die Lebensgeister zu wecken, kräuselt sich allenfalls eine Rauchfahne über den Dörfern. Herbst im Harz, so haben wir gelernt, heißt Ruhe – Verschnaufpause bis zur Wintersaison.
Im 130-Seelen-Ort Treseburg sind wir die letzten Gäste des Jahres im „Haus No. 31“. Der Schlüssel für die Haustür hat mittelalterliche Ausmaße, und in der riesigen Küche stehen genügend Herde und Kühlschränke, um mehrere Menüs parallel kochen zu können. Traulich hängen ein altertümliches und ein modernes Waschbecken nebeneinander; glücklicherweise findet sich in dem Sammelsurium auch eine Kaffeemaschine. Vor den großen Fenstern versinkt der Garten allmählich in der Dämmerung. Ein nicht elegantes, aber würdevolles Haus – der rechte Ort, um Abschied zu nehmen vom Harz.

Deutschland - Harz - Im Bodetal

Im Bodetal

Am nächsten Tag geht es durch das von steil aufragenden Felsen umschlossene Bodetal, in dem der Fluss wild Richtung Thale gurgelt. Und siehe da, auf diesen spektakulären acht Kilometern begegnen uns mehr Wanderer als in den vergangenen fünf Tagen - ein knappes Dutzend immerhin.

 

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