REIHE UNTERWEGS

Teekultur in Ostfriesland und anderswo

Die Weltreisende in Sachen Tee

Text und Fotos: Winfried Dulisch

Ist das Kochen von Teewasser eine Kunst? Ist das Aufbrühen von Teeblättern eine Geheim-Wissenschaft? Ist der Geschmack von edlem Tee noch zu verfeinern? – Winfried Dulisch fragte die Malerin und Buchautorin Gisela Buss.

Teekultur in Ostfriesland

Gisela Buss eröffnete 1998 in Leer, Ostfriesland (1), ein Tee-Museum. Inzwischen gilt es als ein Mekka für Teefreunde und solche, die es werden wollen. Die Hafenstadt an der Ems war aber schon vorher eine gute Adresse für die Pflege der ostfriesischen Teekultur. 1806 gründete Johann Bünting hier ein Tee-Handelshaus. Die nach ihm benannte Stiftung betreibt heute das Museum in der Brunnenstraße 33.

2010 gründete Gisela Buss in Haren (2), Kreis Meppen, Emsland, mit ihrem Mann, dem Kapitän Engelbert Schepers, ein weiteres Museum – das „Kunsthaus“. Es ist eine Bilder-Galerie, ein Heimatmuseum der Schiffbauer-Stadt Haren und gleichzeitig ein Meetingpoint für Tee-Experten aus aller Welt. Hier veranstaltet Gisela Buss auch Workshops für Gastronomie-Profis, die ihr Tee-Wissen auffrischen wollen.

Außerdem kommen Besuchergruppen mal kurz mit dem Omnibus vorbei, um sich in die Geheimnisse des Tee-Zubereitens einführen zu lassen. Viele Amateur-Genießer sehen hier im Kunsthaus zum ersten Mal den Arbeitsplatz eines Teatasters (von „taste“ – englisch für: probieren, schmecken). Ein Teataster entwickelt aus verschiedenen Teesorten die Rezepte für „Blends“ (Mischungen).

Leer - Tee-Museum

Ist Gisela Buss eine Teatasterin? – „Nein, diese Arbeit müssen Spezialisten erledigen. Ein Junior-Teataster benötigt zehn bis 20 Jahre, bevor er zum Senior aufgestiegen ist. Mein Metier ist die friesische Küche.“ – Gisela Buss ist bekannt für ihren „Freud und Leid“-Butterkuchen. Oder ihre „Bohnensoop“ (für Nichtfriesen: Branntwein mit Rosinen), die als Getränk an der friesischen Nordseeküste beliebt ist; sie wird auch gerne als Füllung für einen Sahne-Biskuit-Kuchen verwendet, dazu reicht man Tee – und es muss nicht unbedingt ein Koopje Ostfriesentee sein.

Brandwein mit Rosinen

Aber auf keinen Fall passt zu solch delikaten Beilagen ein Rooibusch- oder gar Pfefferminz-Tee. Gisela Buss: „Das ist doch kein Tee. Das sind aromatische Aufgussgetränke.“ Wenn sie von Tee redet, meint sie jene Pflanze, die bis zu 4,5 Prozent Coffein enthält. Sogar viele Teekenner bezeichnen diesen Wirkstoff immer noch als “Thein“ oder „Teein“.

In das Kunsthaus Haren kommen oft Besucher, die ihre Tee-Vorlieben noch nicht so genau beschreiben können. Dann rät Gisela Buss dem Anfänger zu jener Teemischung, die benannt wurde nach einem britischen Premierminister des frühen 19. Jahrhunderts: Earl Grey.

Die „Kunsthaus“-Frau empfiehlt aber unbedingt: „Es muss ein Earl Grey mit natürlichem Bergamotte-Aroma sein.“ Und Gisela Buss präsentiert ihrem Gast eine wohlriechende Tee-Mischung, von der sie jeden einzelnen Bestandteil mit Vornamen zu kennen scheint: „Die Grundlage ist ein Assam-Tee aus Nordost-Indien. Dazu kommt noch ein Ceylon aus Sri Lanka.“

Seinen speziellen Geschmack und Duft verdankt der Earl Grey dem Bergamotte-Öl. Es wird gewonnen aus einer Zitrusfrucht, die nicht als Obst verzehrt wird, sondern nur wegen ihres Aromastoffs angebaut wird. Puristische Teefreunde belächeln den Earl Grey als „Studententee“. Gisela Buss kann diese Kritik verstehen: „Anspruchslose Teesorten werden oft durch ein derartiges Aroma geschmacklich aufgewertet.“

Nicht alles was gut schmeckt ist Tee

Das gilt vor allem für solche „Nicht-Tees“ wie das südafrikanische Rooibusch-Kraut. Es wäre ohne eine Aromatisierung kaum verkäuflich. Ansonsten hat Gisela Buss von Afrika aber eine hohe Meinung: „Vor allem aus Kenia kommen inzwischen sehr hochwertige Schwarztee-Sorten.“

Über Südamerika lässt sie bei der Führung durch ihren emsländischen Teetempel kein Wort fallen – außer vielleicht: „Von dort kommt Lapacho. Es wird hergestellt aus einer Baumrinde. Dieses Aufgussgetränk ist so beliebt, weil es Viren und Bakterien abtöten soll.“ Die USA sind dagegen ein Paradies für Tee-Freaks. Gisela Buss empfiehlt jedem New York-Touristen: „Besuchen Sie dort unbedingt einen der Luxus-Teeläden in China Town.“

Chinesischer Tee wird in zarten Gefäßen stilvoll serviert

Chinesischer Tee wird in zarten Gefäßen stilvoll serviert

In China selbst hat die norddeutsche Tee-Lady aber schon Genießer angetroffen, die noch zahlungskräftiger und anspruchsvoller sind als die Teetrinker in den USA. „Hauchzartes Geschirr für 1.000 Dollar – das habe ich in Shanghai gesehen. Dort werden in prachtvollen Geschäften auch ein paar Gramm Tee für 300, 400 Dollar angeboten.“

Gisela Buss verehrt die chinesischen Teemeisterinnen und -meister. „Diese Künstler gestalten das Servieren als eine Genuss-Show. Das japanische Tee-Zeremoniell ist dagegen eher eine Art von Meditationsübung. – Kommen Sie mit mir in das China-Zimmer. Ich werde Ihnen zeigen, wie man einen chinesischen Tee stilgerecht zubereitet.“

Teeverkostung

Vorsicht – bloß nicht verschütten! Der Tee in jedem dieser Tässchen ist ungefähr so kostbar wie ein komplettes Menü in einem guten Restaurant

Während in Deutschland die Tee-Tradition des hinteren Asiens relativ gut bekannt ist, wissen die Teetrinker hierzulande nur wenig über die Türkei. Gisela Buss: „Viele Deutsche glauben bereits die türkische Teekultur zu kennen, weil ihnen ein Souvenir-Händler einen Apfeltee angeboten und damit sein Verkaufsgespräch eröffnet hat. Dieses Aufgussgetränk wird aus geriebenem Apfel und Zucker zubereitet.“

Doch in der Stadt Mugla im Südwesten der Türkei oder in Dörfern im gebirgigen Hinterland durfte Gisela Buss erleben, wie ein Tee von der Dame des Hauses perfekt zubereitet und serviert wird. „Man muss nur die üblichen Touristen-Pfade verlassen und nach solchen Spezialitäten fragen.“ Die türkische Hausfrau kocht in der einen Kanne ihren Tee auf. In einer zweiten Kanne kocht sie immer wieder neues Wasser, mit dem ihr Tee-Sud aufgefüllt wird.“

Samowar

Für diese Doppel-Strategie verwenden die russischen Teetrinker einen Samowar. Damit erzeugen sie gleichbleibende Hitze und genießen außerdem das Beisammensein rund um diese Friedenspfeife. Für gute Atmosphäre und angeregte Gespräche ist also gesorgt. Über den Geschmack des Samowar-Tees mag Gisela Buss aus Gründen der Höflichkeit kein Urteil abgeben.

Die Teegenießer östlich vom Ural legen ohnehin mehr Wert auf die Beilagen. „Sie nehmen eine Konfitüre in den Mund und trinken dazu ihren Tee. Oder sie nehmen ein Stück Zucker und lassen das Tee-Gebräu daran vorbei rinnen“, hat  Gisela Buss beobachtet. „Und das russische Teegebäck ist großartig. Ich bringe mir von dort jedes Mal einen Vorrat mit.“

Five o’clock – die Welt steht still

Next Stop: Das englische Teezimmer im Kunsthaus Haren. Gisela Buss dämpft erst einmal falsche Vorstellungen über die Qualität des in England verbreiteten Tees: „Wenn ich dort zu Besuch bin, trinke ich ausschließlich Earl Grey – und sonst keinen anderen.“ Trotz – oder gerade wegen – dieser geschmacklichen Anspruchslosigkeit beherrschten die Briten mit ihrem Teatime-Zeremoniell ein riesiges Empire. Überall auf dem Globus wurde jeweils um 17 Uhr Ortszeit das Teegeschirr auf den Tisch gestellt. Und die Welt schien für ein Stündchen stillzustehen.

Das traditionelle Notstandgebiet für Tee-Connaisseure ist Irland. Dorthin wurden einst jene Teesorten verfrachtet, die nicht einmal die Engländer trinken wollten. Inzwischen sind die meisten Iren zu Kaffeetrinkern mutiert. Aber viele irische Starrköpfe versuchen immer noch, ihren Tee – falls man ihn als solchen bezeichnen möchte – durch Hinzufügen von unverschämt viel Milch in ein Genussmittel zu verwandeln. Und die Milch von der grünen Insel ist bekanntlich gut.

Kühe auf dem Deich

Die Republik Irland und die Queen-Untertanen im Norden der irischen Insel begnügen sich also mit weitestgehend geschmacksneutralen Staubteilchen in Teebeuteln, die wohlklingend als „Irish Breakfast Blend“ bezeichnet werden. Gisela Buss erinnert sich trotzdem gerne an Dublin, denn „Tee trinken und gleichzeitig Stories und Musik hören – das ist für mich allerfeinste irische Lebensart.“

Kein Mitleid hat Gisela Buss mit ihren Nachbarn auf der gegenüberliegenden Seite der Ems: „Die Niederländer sind nun mal ein Kaffeetrinker-Volk. Nur in den Landesteilen nördlich von Groningen hat sich eine bescheidene Teekultur entwickeln können.“ Die Teetrinker in der niederländischen Provinz Fryslân orientierten sich nämlich immer schon am guten Geschmack jener Nation mit dem höchsten Pro-Kopf-Teeverbrauch der Welt – an den Ostfriesen.

Ostfrieslands berühmteste Teetrinkerin: Statue vor dem Bünting-Stammhaus in Leer

Ostfrieslands berühmteste Teetrinkerin: Statue vor dem Bünting-Stammhaus in Leer

Laut einer Statistik, die der Deutsche Teeverband e.V. veröffentlichte, trank der durchschnittliche Ostfriese über das Jahr 2010 verteilt 300 Liter Tee. Auf dem zweiten Platz landete Kuwait mit einem Jahresverbrauch von 270 Litern, es folgte Irland (250 Liter). Für die seit 400 Jahren andauernde Liebe der Ostfriesen zum Tee nennt Gisela Buss als Grund „das schlechte Trinkwasser. Durch Hinzufügen von Tee wurde es genießbarer.“

Und welche Tee-Mischung verwendet die anspruchsvolle Ostfriesentee-Trinkerin? – „Für mich besteht ein Ostfriesentee aus einem sehr guten Assam, möglichst ein second Flush.“ Teekenner wissen: Das ist kein Produkt zweiter Güte, sondern die Blätter und Knospen der zweiten Pflück-Periode. „Außerdem gehört dazu ein fruchtig spritziger Darjeeling und eventuell noch eine Prise Tee aus Java.“

Ostfriesentee kann – aber muss nicht – gut sein

Gisela Buss gibt zu bedenken, dass man ihre privaten Bewertungsmaßstäbe nicht als allgemein gültige Garantie missverstehen darf. „Ostfriesentee ist doch nur eine Herkunftsbezeichnung.“ – Jeder Tee, der in Ostfriesland gemischt und abgepackt wird, darf als „echter Ostfriesentee“ verkauft werden. Über die Qualität dieser Mischung sagt das überhaupt nichts aus.

Teegeschirr

Und welches Trinkgefäß empfiehlt die Tee-Liebahaberin? – „Ich bevorzuge möglichst hauchfeines Porzellan.“ Über derartige ästhetische Finessen mag sie aber nicht lange debattieren. Doch bei der Zubereitung ihres Tees duldet sie keine Kompromisse, obwohl es wie eine Selbstverständlichkeit klingt: „Ich bringe erst einmal frisches kaltes Wasser zum Kochen.“

Dieses frische Wasser darf nur einmal aufkochen, weil es sonst Sauerstoff verliert. Und ein totgekochtes Wasser bewirkt schalen Teegeschmack. Die Ostfriesen wussten immer schon: Mit heetkooked Water kann man kien Tee maken – mit zuvor schon einmal gekochtem Wasser kann man keinen Tee zubereiten.

Entschleunigungs-Schnellkursus

Wenn das Wasser gekocht ist, spülen ostfriesische Teetrinker die Kanne kurz einmal durch mit einem Teil des gekochten Wassers. In dieser Zeit kühlt sich das übrige Wasser auf 98 Grad ab – die ideale Temperatur, um das Aroma einer Ostfriesentee-Mischung zu entfalten. „Solche Weisheiten haben die Seefahrer aus China nach Norddeutschland gebracht. Es wertet den Tee nicht nur geschmacklich auf. Diese Art der Tee-Zubereitung entschleunigt auch die Seele. Allein schon deshalb ist Tee ein ideales Antistress-Mittel.“

Hallig Langeneß

Abendstimmung auf Hallig Langeneß

Erfahrene Nordsee-Urlauber kennen aber noch ein weniger zeitaufwändiges Rezept, das vor allem auf den stürmischen Inseln und Halligen als ein Nationalgetränk der Wattenmeer-Anrainer zu gelten scheint: Tee kann sein, Wasser soll sein, Rum muss sein. Gisela Buss: „Bevor ich mir mit Rum einen Tee verdünne, trinke ich lieber eine Tasse Wasser ohne Tee.“

Reiseinformationen

Kunsthaus Haren
Emsstraße 36
D-49733 Haren/Ems
www.kunsthaus-haren.de 

Gisela Buss

Kinderbuch-Tipp:
„Mit dem Teegeist um die Welt - Mein erstes Wissen über unseren Tee“
Gisela Buss erzählt Märchenhaftes den Tee und seine Herkunft.
Illustrationen: Erika Engelhardt
ISBN 978-3-941922-04-4

 

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