REIHE UNTERWEGS

Es geht nicht nur um die Wurst

Braunschweig: Kein kulinarisches Niemandsland

Text und Fotos: Judith Weibrecht

Braunschweig? Oh Gott! Was will man schon da? Da will doch keiner hin! So oder ähnlich reagierten fast alle, ganz egal, ob Freunde, Bekannte, Journalisten, Redakteure von namhaften Tageszeitungen. Wenn ich dann noch ehrlich zugab, dass es sich um Kulinarisches handeln solle, war für die Leute der Witz perfekt. Aber - ich weiß es besser. Heute.

Braunschweig / Weinfest am  Kohlmarkt

Weinfest am Kohlmarkt

Fangen wir von vorn an: Wieso heißt Braunschweig eigentlich Braunschweig? Zuerst hieß es Brunesguik, dann Brunswik, und wie es dann zu Braunschweig kam, weiß eigentlich schon keiner mehr so genau. Tja! Beim Braunkohl ist die Sache schon einfacher. Der Braunkohl, der ja im Grunde ein Grünkohl ist, heißt so, weil er aus Braunschweig kommt, sagen die Einwohner. Aha! Dabei heißt er doch in Wirklichkeit so, weil er erst spät im Jahr geerntet wird, also nach dem ersten Frost, und dann schon eine leicht bräunliche Färbung angenommen hat.

Eine Insel ohne Palmen

Braunschweig / Domplatz

Domplatz mit Rathaus und Dom St. Blasi

Und die Innenstadt, so sagen sie, sei eine Insel ohne Palmen. Die Oker fließt schließlich rundherum und liegt bräunlich glitzernd in der Sonne. Laubbäume säumen ihren Weg, ein paar Kanuten kommen vorbei. Studenten auf Fahrrädern. Forscher in schicken Autos. Nichts los hier? Man lässt sich ja gerne vom Gegenteil überzeugen.

Braunschweig / Oker

An der Oker

Der Sehenswürdigkeiten gibt es hier sicher viele. Beginnen wir in der Stadt Heinrichs des Löwen natürlich beim bronzenen Braunschweiger Löwen an der Burg Dankwarderode, am Dom St. Blasii und am Rathaus. Feines niedersächsisches Fachwerk! Oder am Altstadtmarkt mit seinen prächtigen Bauten aus verschiedenen Jahrhunderten oder, oder, oder ...

Braunschweig / Altstadt

Gewandhaus am Altstadtmarkt

Oder eben im Magniviertel, Braunschweigs ältestem Stadtteil, der heute ein Szene-Treff ist: mit vielen Kneipen und wunderschön erhaltenen und restaurierten Fachwerkhäuschen, wo man ein gepflegtes Bier oder Weinchen draußen vor der Tür schlürft und die Vorbeikommenden mit Blicken begleitet.

Braunschweig / Happy-Rizzi-Haus

Das Happy-Rizzi-Haus im Magniviertel

In diesem Viertel steht auch das vieldiskutierte Happy-Rizzi-Haus, für die Expo 2000 entworfen, und die erste begehbare Skulptur weltweit. Bunt ist es. Und knallig. Doch was los in BS? Hier kann man seinen Spaß haben!

Danke Dir, Till Eulenspiegel!

Braunschweig / Brunnen am Kohlenbmarkt

Viele schöne Brunnen und Säulen finden sich über die Innenstadt verteilt, z.B. der schöne am Kohlmarkt, der Ringerbrunnen oder das Kattreppeln (= Katzen raufen) und natürlich der Till-Eulenspiegel-Brunnen am Bäckerklimt, gestiftet vom jüdischen Bankier Meyersfeld. „Komm! Tille gucken!“, sagt da einer zu seinem Kind, das begeistert hinrennt. Till sitzt am Springbrunnenrand, umgeben von Eulen und Affen (besser gesagt Meerkatzen) in hiesiger Mundart: Apen und Ulen. Denn Till, der auch hier sein Unwesen getrieben hat, hat sich gleich kulinarisch verewigt: Apen und Ulen hatte er extra für den Bäcker Lipke gebacken, um ihn damit zu veräppeln. Dieser hatte ihm nämlich auf seine Frage hin, was er denn backen solle, zornig geantwortet: „Was fragst du mich? Back doch Eulen und Meerkatzen!“ Noch heute kann man dieses leckere Sandteiggebäck bei der Bäckerei Eckhardt am Ringerbrunnen erstehen. Lecker!

Also doch Kulinarik in der Stadt zwischen Harz und Heide? Danke dir, Till! Schnupperte doch selbst Ludwig Feuerbach hier „kulinarisch bedingte Bodenständigkeit, die mich in Niedersachsen festhält. Keine Brise aus der weiten Welt kann mich mehr begeistern.“ Und an süßem Gebäck scheint es hier noch einiges Leckere zu geben, schließlich erinnerte sich auch Ricarda Huch in „Braunschweig in meiner Kindheit“ an Karpfen, Punsch und Prilleken zur Weihnachtszeit. Prilleken entdecke ich auch gleich in einer Bäckerei. Das sind süße, in Fett gesottene und mit Zucker bestreute Hefeteigkugeln, also etwas zu klein geratene Berliner oder Krapfen, die es schon seit 1463 gibt.

Bierseminar mit Hopfendiplom

Doch weil jede ordentliche Stadtbesichtigung auch ihre ordentlichen Pausen verlangt und die zweitgrößte Stadt Niedersachsens außerdem eine Stadt des Bieres sein will, verschleppt man mich ins Schadt's Brauerei Gasthaus mit eigener Brauerei im Innenraum. Bier? Ach nee! Damit kann man doch keinen bekennenden Dortmunder Pilstrinker oder eine fränkische Journalistin hervorlocken, oder?

Doch, man kann. Lecker ist Schadt´s naturbelassenes Pilsener, aber auch das obergärige, leicht gehopfte Weizen und das Märzen. Qual der Wahl! Sogar ein Hopfendiplom könnte man hier ablegen oder ein Bierseminar mit Verkostung besuchen. Eine kleine Stärkung dazu? Hier kann man einen Braunschweiger Biergarten ESSEN, nicht nur darin sitzen, jawohl. Es handelt sich dabei um Schweinebraten in (wer hätt´s gedacht?) Pilsener geschmort mit Bierbratensauce. Danach ein Bierbrand - kommt gut! „Schnasseln“ ist angesagt, d.h. essen und trinken mit Muße, ohne den Zeitdruck der schnöden Welt. Sie ist weit weg, soll weit weg sein. Nun, das Bier tut sein übriges, und die Auswahl ist ja auch da in der Bierstadt Braunschweig.

Braunschweig / Gildehaus

Gildehaus/Huneborschtelsches Haus am Domplatz

Schon seit dem Mittelalter wird hier gebraut, nicht nur in Franken und Bayern! Und neben den zwei großen Brauereien „Feldschlößchen“, 1871 gegründet, und „Wolters“, seit 1627, die man auch während einer Führung besichtigen kann, gibt es kleine Privatbrauereien wie „Schadt´s“.

Wovon Männer umfielen

Braunschweig / Mutter Habenicht

Nicht nur beim Gebäck, auch beim Bier findet sich Kurioses: weltberühmt ist nämlich die „Mumme“, erstmals 1390 erwähnt. Ein dunkles, angeblich magenstärkendes hochprozentiges Bier, so stark war es angeblich, dass Männer davon umfielen. Es wird heute noch in veränderter Form angeboten wird und Kultstatus erlangt hat. Aus Malz und Wasser gebraut wird die Mumme, 1492 von Christian Mumme weiter entwickelt, von zehn Brauereien gebraut und bis nach Großbritannien und Indien vertrieben! Der Exportschlager Nummer eins aus Braunschweig! Zu jener Zeit war die Mumme ein Starkbier und dermaßen alkohol- und zuckerhaltig, dass es die langen Schiffsreisen unbeschadet überstand. Angeblich war sie auch gut gegen die sogenannte Schwindsucht und sogar in einer Oper wurde sie verewigt!

Die „Braunschweiger doppelte Segelschiff-Mumme“ wird heutzutage in einer schmucken blau-weiß-roten Dose feilgeboten und ist ein dickflüssiger, fast sirupartiger Malzextrakt mit hohem Nährwert, allerdings alkoholfrei. Ein Vorläufer des Malzbieres sozusagen. Nun wird sie nur noch bei „Nettelbeck´s Brauerei“ hergestellt. Man trinke sie in Milch oder gieße sie in den Bierschaum, um somit den Anfangsbuchstaben des Trinkers aufzumalen. Es gibt gar eine Mumme-Fibel mit Rezepten! Im Ausschank findet man sie auf jeden Fall bei „Mutter Habenicht“ (Foto oben) oder auch in „Stechinelli´s Kartoffelkeller“ Foto unten). Kaufen kann man die hübsche Dose mit dem stolzen Segelschiff bei der Tourist-Information oder in den ortsansässigen Apotheken! Und es gibt sogar eine Mummetwete hier (eine Twete, das ist ein kleiner Weg).

Braunschweig / Stechinelli's Kartoffelkeller

Würste, Würste, Würste

Zum Bier gehört die entsprechende Unterlage, das hatten wir schon. Und zuviel Nährbier muss auch nicht sein. Also: Braunschweiger Wurstwaren! Denn hier geht es eigentlich um die Wurst, wie zum Beispiel um die Braunschweiger Mettwurst (grob ist sie und vom Schwein, dabei noch streichfähig, aber trotzdem fest) oder im Winter um Braunkohl mit Bregenwurst. Was ist das nun wieder? Eine geräucherte Schweinswurst, aus reinem Schweinehack, die, wenn sie original hergestellt wird, ursprünglich Brege, also Hirn, enthielt.

Halt, halt, das ist noch nicht alles! Die Braunschweiger Wellwurst nicht zu vergessen, deren Zubereitungsart die eigentliche Braunschweiger Spezialität ist. Sie ist eine Art Leberwurst, die warm zu Kartoffelsalat gereicht wird, und da es sich dabei um ein deftiges Gericht handelt, ist es nur in der kalten Jahreszeit erhältlich. Eine "echte" Braunschweiger Spezialität ist allerdings die Braunschweiger Knackwurst. Sie wird aus gekochtem Schweinefleisch, Zwiebeln und zahlreichen Gewürzen hergestellt. Auch die Braunschweiger Leberwurst wird durch die Zugabe von bestimmten Gewürzen zur Braunschweiger Spezialität, und schließlich gibt es noch das Braunschweiger Sauerfleisch, eine Art Sülze.

Braunschweiger Gedöns

Das „Braunschweiger Gedöns“ jedoch ist etwas ganz anderes, ein Kartoffelschnaps nämlich mit Gedöns obenauf, so einem lütten Puffer, wie man mir erklärte. Nun - ein Spanier würde vielleicht denken, es handele sich dabei um ein Tapa, ein Braunschweiger Tapa eben, und das ist auch richtig so. Der Kartoffelpuffer mit Wurst und Senf liegt obenauf. Es handelt sich somit um das harte Gedöns, das ich gerade im „1. Braunschweiger Kartoffelhaus“ im Ratskeller erstehe. Die Kunst besteht nun darin, aufgeklappt den Schnaps zu trinken und dabei das Gedöns nicht mit verschwinden zu lassen. Eine Aufgabe! Zum Thema gibt es auch einen „Spaziergang mit Gedöns“ von der Tourist-Information. Übung macht schließlich den Meister! Aber keine Angst, hier im „1. Braunschweiger Kartoffelhaus“ gibt es auch Braunschweiger Kartoffelsuppe, deftig und kräftig, oder hausgemachtes Sauerfleisch. Man sieht: In Braunschweig geht es um die Wurst, aber auch um mehr.

 

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Marseille - Bouillabaisse

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