REIHE UNTERWEGS

Mein Hund ist ein Trüffelschwein

Kulinarisches aus dem Ahrtal

Text und Fotos: Winfried Dulisch

Die romantischen Weinstuben und Winzerhöfe entlang der Ahr präsentieren inzwischen neben den altbekannten Rebsorten immer öfter hochwertige Weine. Und auch die Köche orientieren sich im Ahrtal zunehmend an gehobenen Gourmet-Ansprüchen. Winfried Dulisch besuchte den Trüffel-Suchhund Max und dessen Herrchen Jean-Marie Dumaine.

Ahrtal - Hund Max

Jean-Marie Dumaine: „Für mich hat Kochen keine Grenzen. Grenzen gibt es nur im Kopf.“ – Der Koch ohne Grenzen wurde 1954 in der Normandie geboren und kam als 21-Jähriger an die Ahr. Dieser Fluss – in trockenen Sommermonaten eher ein Bach – entspringt in der Eifel und fließt 89 Kilometer weiter bei Sinzig in den Rhein. Die Ahr-Mündung steht unter Naturschutz, weil sie am Rhein eine der wenigen Mündungen ist, bei denen keine Korrektur vorgenommen worden ist.

1852 entdeckte der Winzer Georg Kreuzberg aus Ahrweiler auf einem wenig ertragreichen Weinberg eine Quelle. Er benannte sie nach jenem Heiligen, den er auf einem benachbarten Bildstock gesehen hatte: Apollinaris, heute weltweit bekannt als die zum US-Getränkekonzern Coca-Cola gehörende „Queen of Table Waters“. Weitere Heilquellen wurden in der Region erschlossen und 1858 jenes Heilbad eröffnet, aus dem sich Bad Neuenahr am Ende des 19. Jahrhunderts zu einer europäischen Top-Adresse der Schönen und Reichen entwickelte.

Ahrtal - Heilbad

Bad Neuenahr

Vor allem an den Wochenenden kommen heute in die Region zwischen Nürburgring und Rhein die Tagesausflügler aus Nordrhein-Westfalen (Köln ist eine knappe Autostunde entfernt) und aus dem Rhein-Main-Gebiet (Frankfurt etwas mehr als anderthalb Stunden). Bis runter nach Sinzig, wo die Ahr in den Rhein mündet, führt am Fluss entlang der gut bis sehr gut ausgebaute Ahrtal-Radwanderweg. Und am Ziel aller Wege zum Rhein übernahm Jean-Marie Dumaine 1979 das Restaurant „Alt Sinzig“, heute bekannt als „Vieux Sinzig“

Wenn Jean-Marie Dumaine über seine Aufbruchphase im Ahrtal redet, nimmt der Franzose kein Blatt vor den Mund – vor allem kein Weinblatt: „Diese Weine, die in den 80er Jahren hier ausgeschenkt wurden – das war die reinste Limonade.“ Allein schon deshalb importierte der Koch, der keine Grenzen kennt, in das Ahrtal viele neue Anregungen und altes Wissen aus den Küchen und Kellern seiner Heimat.

Ahrtal - Kloster Kalvarienberg

Das meistfotografierte Motiv an der Ahr: Kloster Kalvarienberg

Neben Jean-Marie Dumaine begeisterten sich auch junge Winzer für die Idee, Gewächse von der Ahr in Eichenfässern reifen zu lassen. Gerd Kriechel bewirtschaftet zusammen mit seinen zwei Brüdern eine der größten Wein-Anbauflächen (20 Hektar) in der Region; der Winzer aus Ahrweiler erinnert sich: „Wir begannen Ende der 90er Jahre den Barrique-Ausbau mit zwei, drei Fässchen. Heute bauen wir 20 Prozent unserer Ernte in Eichenfässern aus.“

Nouvelle Regionalküche

Aber noch stolzer ist Jean-Marie Dumaine auf eine andere Errungenschaft seiner französischen Revolution: „Ich habe bei meinen Wanderungen durch die hiesigen Wälder zahlreiche Wildkräuter entdeckt, an denen die Ahrtal-Bewohner seit Generationen achtlos vorbeigegangen waren.“ Zum Beispiel die Weinraute, die lange Zeit überhaupt nicht mehr als Gewürz oder Heilkraut bekannt war und bestenfalls noch Verwendung fand als Zierpflanze.

Ahrtal - Jean-Marie Dumaine

Jean-Marie Dumaine im Kräutergarten seines Restaurants „Vieux Sinzig“

„Oder japanischer Knöterich. Dieses Kraut ist schon seit mehr als 350 Jahren im Ahrtal ansässig. Der Rhein ist schließlich auch ein Transportweg für den Samen von Kräutern aus Übersee.“ Außerdem entdeckte Jean-Marie Dumaine bei seinen Spaziergängen die Orientalische Rukola; eine ähnliche Salatpflanze aus der Familie der Kreuzblütengewächse wurde von den Germanen als Potenzmittel verehrt, nun erlebt diese Pflanzengattung ihr globales Revival zusammen mit der mediterranen Küche.

Franzose rettet (Un-)Kraut

Manche Pflanze offenbart schon durch ihren Namen, wie sehr sie von deutschen Köchen in der Vergangenheit missachtet worden war. Zum Beispiel das Franzosenkraut. Seinen volkstümlichen Namen erhielt es in jener Zeit, als jeglicher Frankreich-Import als frivol und dekadent – wenn nicht gar als gefährlich – diffamiert wurde. Die ursprünglich aus Peru stammende Pflanze wurde im 18. Jahrhundert in Frankreich sogar als Salatpflanze angebaut. Als die Stiefel der Napoleon-Armee die Äcker Europas zertrampelten, hinterließen sie dort auch den Samen dieses Krauts, das später vor allem von den Kartoffel- und Zuckerrüben-Bauern als Unkraut bekämpft wurde.

Ahrtal - Bad Neuenahr, Kurgarten

Bad Neuenahr, Kurgarten

Erst relativ spät widmete sich der kulinarische Schatzsucher auch mal einem Thema, von dem er nicht ahnen konnte, dass es ausgerechnet im Ahrtal – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes – dermaßen nahe liegt. Jean-Marie Dumaine gesteht heute ein, dass er als Franzose doch eigentlich früher darauf hätte kommen müssen: Trüffel.

Diese vorwiegend unterirdisch wachsenden Delikatess-Speisepilze sind in Deutschland lange Zeit nicht als Delikatesse gewürdigt worden. Zur Jahrtausendwende wurden 1.000 Trüffel nach Frankreich exportiert, anstatt in deutschen Küchen zu landen. Und vor allem war hierzulande in Vergessenheit geraten, dass Hunde für die Trüffelsuche geeigneter sind als die sprichwörtlichen Trüffelschweine. Schweine zerstören bei ihrer Suche den Boden, auf dem die Trüffel gedeihen; außerdem wollen diese Viecher nur ungern etwas von ihrer Beute abgeben. Hunde arbeiten diesbezüglich wirtschaftlicher und sind leichter zu bändigen.

Ahrtal - Weinraute

Zusammen mit seinem Hund Max fährt Jean-Marie Dumaine 2001 zum jährlich stattfindenden Trüffel-Festival in das südfranzösische Uzès. Dort entpuppt sich der kleine Schnauzer als ein für die Trüffelsuche geeignetes Tier. Im Herbst des folgenden Jahres lädt der Neu-Sinziger einige französische Trüffel-Experten ein, mit ihm und einigen Hunden die bewaldeten Hänge entlang der Ahr zu durchstreifen.

Brav, Trüffelhund, brav …

Max und seine Artgenossen werden schnell fündig. Allein am Pfaffenberg bei Bad Neuenahr füllt Max einen Sammelkorb in weniger als einer halben Stunde mit Trüffeln. Braves Hundchen. Französische Journalisten, die den Sensationswert dieser Meldung höher einzuschätzen wissen als ihre deutschen Kollegen, rufen beim Küchenchef des Vieux Sinzig an und wollen den Trüffel-Entdecker interviewen.

… und beinahe ein böses Ende

Es kommt auch noch ein Anruf von der Kreisverwaltung Ahrweiler. Der zuständige Mitarbeiter gratuliert dem Trüffelsucher erst einmal freundlich zu dem wertvollen Fund und kommt dann zum eigentlichen Thema: Trüffel stehen in Deutschland unter Naturschutz. Das Sammeln und erst recht das Verkaufen dieser geschützten Pflanze ist eine Ordnungswidrigkeit – wenn nicht gar eine strafbare Handlung.

Ahrtal - Blick in die Küche des „Vieux Sinzig“

Blick in die Küche des „Vieux Sinzig“

Jean-Marie Dumaine bekommt eine Ausnahme-Genehmigung, für die er allerdings den Verkaufswert seines Trüffelfundes als Gebühr bezahlen muss. Dabei will er keineswegs die Trüffel-Ressourcen entlang der Ahr ausplündern. „Ich bin ein Avantgardist, ein Vorreiter. Und ein Avantgardist ist keine Eintagsfliege, sondern er kümmert sich um die Langzeit-Wirkung seiner Arbeit.“

Nachhaltigkeit bedeutet für den Avantgarde-Koch aber nicht nur, dass er seine Zutaten möglichst aus der näheren Umgebung bezieht. Seine Gäste sollen ihr Mahl mit allen fünf Sinnen genießen können. Weil die Ohren auch mitessen, empfiehlt Jean-Marie Dumaine beim Interview in seinem Restaurant: „Fassen Sie einmal unter den Tisch.“ – Da ist doch nur Schaumstoff. – „Richtig. Und deswegen haben wir trotz der großen Glasflächen hier akustisch eine gute Raumatmosphäre.“

Ahrtal - Blick in die Küche des „Vieux Sinzig“

Keine Gespräche, die hallig und knallig vom Nachbartisch herüber schwappen, stören im Vieux Sinzig den Gast beim Genießen. Und nervende Lüftungsgeräusche aus der Küche sind ebenfalls nicht zu vernehmen. Und überhaupt: In diesem Restaurant muss nichts mit Lautsprecher-Gedudel übertönt werden. – Mal eben unter den Stuhl fassen. Stimmt, da wurde auch Dämmstoff verwendet.

Happy End

Einmal Avantgardist, immer Avantgardist. Jean-Marie Dumaine lässt sich zu neuen Creationen immer wieder gerne inspirieren von anderen Köchen wie auch von den Winzern, Bäckern, Fleischern, Gärtnern und Bauern in seiner Nachbarschaft. Und vor allem auch von den Jägern. „Wegen des guten Klimas und der herrlichen Wälder im Ahrtal bringen mir die Jäger immer wieder hervorragendes Fleisch für meine Wild-Speisekarte. Aber als Kind der Normandie vermisse ich hier natürlich den Fisch.“

Ahrtal - Max und Koch

Dabei kommen auch die Fisch-Genießer im Ahrtal durchaus auf ihre Kosten. Die Lachs-Räucherei der Familie Sion in Müsch an der Ahr pflegt die Eifeler Räucher-Tradition – mit möglichst wenig Salz und einer feinen Rauchnote. Und nachdem einige Stellen im Flussbett fischgerecht zurückgebaut wurden, wandern Fische wieder ungehindert zu ihren altbekannten Laichplätzen. 2011 wurden sogar Lachse zum Laichen ausgesetzt in der Ahr.

 

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