Unterwegs im längsten Museum Niedersachsens

Die Kleinbahn Bruchhausen-Vilsen

Text: Dagmar Krappe
Fotos: Axel Baumann

Die Kleinbahn Bruchhausen-Vilsen ist die „Erste Museums-Eisenbahn Deutschlands“. Vor 50 Jahren ging sie auf die Schiene.

Kleinbahn Bruchhausen-Vilsen - Abfahrt des Museumszugs in Heiligenberg Richtung Asendorf

Abfahrt des Museumszugs in Heiligenberg Richtung Asendorf

Ihr „Arbeitsplatz“ ist fast acht Kilometer lang. Jannik Westermann, Karl Alms, Andreas Pöppl und Matthias Bartels arbeiten im längsten Museum Niedersachsens. Dort kontrollieren die 16- bis 22-jährigen Fahrkarten, schippen Kohlen, ölen Eisenteile, wienern Stahl. Alles ehrenamtlich und in ihrer Freizeit. Von Bruchhausen-Vilsen über Heiligenberg bis Asendorf zieht sich eine meterspurige Eisenbahnstrecke am Rande des Naturparks Wildeshauser Geest südlich von Bremen. Mischwälder, sanft gewellte Felder und Wiesen prägen die Region.

Kleinbahn Bruchhausen-Vilsen - Heizer Karl Alms im Führerstand

Heizer Karl Alms im Führerstand

Nach den Haupteisenbahnen entstanden ab 1890 in dünnbesiedelten Landstrichen Kleinbahnen als Normal- und auch als Schmalspur. „Sie haben wesentlich zur wirtschaftlichen Entwicklung dieser Gegenden beigetragen“, erklärt Zugführer Wolfgang Moll: „Die Kleinbahnen waren damals die Alternative zum Pferdefuhrwerk. Auf ihnen konnte man erheblich mehr und preisgünstiger transportieren.“ Fahrgast Nummer eins war Jahrzehnte lang das „Hoyaer Landschwein“, berühmt für seine extra dicke Fettschicht. Kartoffeln, Zuckerrüben, Kohlen und Dünger gehörten ebenfalls zu den Hauptgütern auf der Linie. Aber auch vielen Menschen ermöglichten die Nebenbahnen Tätigkeiten in weiterer Entfernung vom Wohnort aufzunehmen. Bis ab 1950 nach und nach der zunehmende Bus-, Auto- und LKW-Verkehr die Beförderung übernahm und man eine Verbindung nach der anderen stilllegte und abbaute, Lokomotiven und Waggons verschrottete. „Vier Eisenbahnenthusiasten aus Hamburg ist es zu verdanken, dass diese Trasse erhalten blieb“, berichtet Moll: „Es ist ein lebendiges Freilichtmuseum entstanden, in dem wir zeigen können, wie eine Kleinbahn früher aussah, welche Fahrzeuge zum Einsatz kamen, welche Techniken und Arbeitsbedingungen herrschten.“

Bruchhausen-Vilsen Kleinbahn - Dampflokführer Andreas Boye ist auch im Hauptberuf Lokführer

Dampflokführer Andreas Boye ist auch im Hauptberuf Lokführer

Lokführer Andreas Boye lässt die Dampfpfeife ertönen. In einer langgezogenen Rechtskurve verlässt die 116 Jahre alte Lok „Hoya“ den Bahnhof Bruchhausen-Vilsen (1) und begibt sich mit fünf dunkelgrünen Holzklasse-Wagen, die aus dem frühen 20. Jahrhundert stammen, auf die acht Kilometer lange Reise nach Asendorf. Dabei passiert sie sechs Haltestellen. Die erste Station heißt Vilsen Ort. Hier hat sich Harald Kindermann direkt neben den Gleisen ein Wohnhaus errichtet. Sogar einen Fahrkartenschalter gibt es im Gebäude. „Wie viele Jungs habe ich mir als Kind eine elektrische Eisenbahn gewünscht“, erzählt der inzwischen 81-Jährige: „Aber das war mitten im Zweiten Weltkrieg. Der Wunsch blieb unerfüllt.“ Doch die Liebe zu Zügen blieb. Mit Mitte zwanzig fuhr der Hamburger quer durch Schleswig-Holstein und Niedersachsen und fotografierte Privatbahnen. Das war bereits zu einem Zeitpunkt als immer mehr von der Bildfläche verschwanden.

Bahnhofsgebäude Bruchhausen-Visen, um 1900 erbaut mit Gaststätte "Alter Bahnhof"

Bahnhofsgebäude Bruchhausen-Visen, um 1900 erbaut mit Gaststätte "Alter Bahnhof"

„In Wales in Großbritannien hatte man schon Anfang 1950 damit begonnen, stillgelegte Schmalspurbahnen wieder zu eröffnen“, weiß Kindermann: „In den „Hamburger Blättern für alle Freunde der Eisenbahn“ las ich 1957 einen Aufruf von Prof. Dr. Walter Hävernick, dem damaligen Direktor des Museums für Hamburgische Geschichte, in Deutschland einige Kleinbahnen als „Jugend“- oder „Erwachsenenbahnen“ zu erhalten.“ Vier Jahre später stellte Harald Kindermann einen Antrag an den Hamburger Senat, die bereits eingestellte, aber noch nicht demontierte Kleinbahn von Ohlstedt nach Wohldorf als „Jugendbahn“ zu betreiben. Doch aus dem Vorhaben wurde nichts. Also ging Harald Kindermann weiter auf Erkundungstour. Er entdeckte die schmalspurige Steinhuder-Meer-Bahn zwischen Wunstorf und Rehburg nordwestlich von Hannover, die mit Dieselloks betrieben wurde, und die Strecke Bruchhausen-Vilsen bis Asendorf südlich von Bremen, auf der es trotz des stetig fortschreitenden Strukturwandels noch dampfenden Güterverkehr gab. 1964 gründete er zusammen mit seiner Frau Renate und zwei Freunden den Deutschen Kleinbahn-Verein (heute Deutscher Eisenbahn-Verein – DEV). Inzwischen gehören dem DEV rund 1.100 Mitglieder an, von denen 120 regelmäßig aktiv sind. Nach vielen Verhandlungen, Rückschlägen und Erfolgen fuhr am 2. Juli 1966 die „Erste Museums-Eisenbahn Deutschlands“ – mit der Lok „Bruchhausen“ und einem einzigen Personenwagen aus dem Jahr 1904 - auf zunächst vier Kilometern von Bruchhausen-Vilsen bis Heiligenberg.

Kleinbahn Bruchhausen-Vilsen - Schaffner in Ausbildung: Jannik Westermann

Schaffner in Ausbildung: Jannik Westermann

Im Zug sind Jannik Westermann und Andreas Pöppl eifrig dabei, die Fahrkarten der rund 70 Passagiere zu knipsen. Es handelt sich um 30 mal 57 Millimeter große Pappkärtchen: Edmondsonsche Tickets. In den 1840er Jahren erfand Thomas Edmondson, Stationsvorsteher im englischen Bahnhof Milton, eine Maschine für ihren Druck. Die Billetts für die Museums-Eisenbahn stammen aus der historischen Fahrkartendruckerei der Dampfzug-Betriebs-Gemeinschaft in Hildesheim.

„Da wir nur von Mai bis Oktober an den Wochenenden fahren, dauert die Ausbildung zum Zugbegleiter schon mehrere Jahre“, meint Jannik Westermann (16). Sein gleichaltriger Vereinskollege Karl Alms hat sich für die „Heizer-Laufbahn“ entschieden: „Fünf Jahre Kohlen schippen sind Voraussetzung, um einmal Dampflokführer werden zu können. Jedenfalls, wenn man nicht aus der Branche kommt.“ Die meisten der jugendlichen Dampflokfreaks entstammen aber zumindest einer bahnbegeisterten Familie. Oft sind bereits Vater und Großvater im Verein tätig (gewesen).

Kleinbahn Bruchhausen-Vilsen - Stopp am Haltepunkt Vilser Holz

Stopp am Haltepunkt Vilser Holz

Hinterm Kurpark wird es hügelig. Bis zum Vilser Holz muss Karl Alms einige Schaufeln Kohle mehr auflegen. „Für die 16 Kilometer hin und zurück benötigen wir 400 Kilo Kohlen und zwei Kubikliter Wasser“, verrät Lokführer Andreas Boye. Er war im richtigen Leben zunächst Lastkraftwagenfahrer. Nachdem er sich in Bruchhausen-Vilsen vor 33 Jahren mit dem Dampflokvirus infizierte und dem Verein beitrat, wurde er auch im Hauptberuf Lokführer bei einer privaten Eisenbahngesellschaft. „Aber ich brauche den Geruch von verbrannter Kohle. Sechs bis acht Wochenenden im Jahr tobe ich mich hier im Museum aus.“ Schon schnauft der Zug aus dem Wald hinaus in eine weite Landschaft mit verstreuten Bauerngehöften. Die letzten vier Kilometer von Heiligenberg bis Asendorf zuckelt er auf dem ehemaligen Pferdekutschen-Sommerweg direkt neben der Bundesstraße 6, die Hannover mit Bremen verbindet. An der Endstation wird Lok „Hoya“ an das hintere Ende der Wagenreihe umgesetzt, um im Rückwärtsgang die Heimreise anzutreten. Die kurze Pause können die Passagiere dazu nutzen, den benzinbetriebenen Wismarer Schienenbus T41 von 1932 zu bewundern, der einst bei der Steinhuder-Meer-Bahn im Einsatz war. Wegen seiner seltsam geformten Schnauze erhielt er den Spitznamen „Maus“.

In Asendorf steht der benzinbetriebene Wismarer Schienenbus T41 von 1932, die Maus

In Asendorf steht der benzinbetriebene Wismarer Schienenbus T41 von 1932, die Maus

„An die 100 Fahrzeuge hat der DEV im Laufe von fast 50 Jahren aus vielen Teilen Deutschlands erworben. Einige hatten nur noch Schrottwert, andere dienten als Hühnerställe oder Lagerräume“, sagt Andreas Boye. Am Bahnhof Bruchhausen-Vilsen kann man in der Fahrzeughalle und Werkstatt restaurierte Dampf- und Dieselloks, Trieb-, Personen-, Pack-, Post- und Güterwagen, aber auch noch einige Waggon-Skelette bestaunen. Bei Sonderveranstaltungen wird auf dem Zweispurbahnhof auch das Umsetzen von Regel- auf Schmalspur über die Rollbockanlage gezeigt und die Drehscheibe in Betrieb genommen, die ebenso wie die Hallen in Eigenarbeit neu errichtet wurde. An historischen Wochenenden präsentieren sich die Eisenbahner in Uniformen aus der Zeit um 1900. An normalen Betriebstagen sind sie ihnen leider zu warm.

Kleinbahn Bruchhausen-Vilsen - Holzklassewagen von Anfang des 20. Jahrhunderts

Holzklassewagen von Anfang des 20. Jahrhunderts

Nach 20 Minuten Aufenthalt in Asendorf (2) mahnt die Dampfpfeife zur Abfahrt. Die meisten Fahrgäste begeben sich mit auf den Rückweg. Kurz vor Einfahrt in den Bahnhof Bruchhausen-Vilsen passiert der Zug das bekannte rot-weiße Achtungsschild mit der schwarzen Dampflok drauf: „An dieser Bahnlinie testete man es 1927 zum ersten Mal, bevor es amtlich eingeführt wurde“, informiert Zugführer Wolfgang Moll.

Mittagspause. Andreas Boye und seine Crew stellen den Zug direkt vor der Gaststätte „Alter Bahnhof“ ab. Wer von der Fahrt hungrig geworden ist, findet hier die passende Gaumenbefeuerung: ein Schweinenackensteak aus der Heizerpfanne, eine Rinderroulade aus dem Dampfkessel, einen Kohlehaufen oder eine Schaffnerstulle. Matthias Bartels und Karl Alms polieren unterdessen das Stahlross erneut auf Hochglanz, denn nach einer Stunde geht es wieder los – auf die acht Kilometer lange Museumstour.

Schild Bahnübergang

Das passende Video zu dieser Reportage finden Sie unter: www.snacktv.de/videos/50-jahre-alt-und-noch-kein-altes-eisen/1629323

 

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