Papst
oder König:
Der Kampf um die italienische Hauptstadt
Eine
Hauptstadtdebatte gab es nicht erst Anfang der 1990er Jahre um Berlin,
sondern auch Mitte des 19. Jahrhunderts um Rom, damals Hauptstadt
des Kirchenstaates unter der Herrschaft des Papstes und bald neue
Hauptstadt der entstehenden italienischen Monarchie. Diese konstitutionelle
Monarchie fasste in ihrem Parlament mit Sitz in Turin 1861 den Beschluss,
die Hauptstadt nach Rom zu verlegen, in die Kapitale des antiken
römischen
Reiches, das damalige Machtzentrum der römisch-katholischen
Kirche. Der junge Nationalstaat wollte damit ein Zeichen setzen,
wollte verdeutlichen, dass er das ganze Land von den Alpen bis nach
Sizilien beanspruchte und mit den Verbündeten und Konkurrenten
weiter nördlich gleichziehen wollte. Anders als in Deutschland
ging die Verlegung der Hauptstadt allerdings nicht ohne Krieg ab.
Denn anders als
in Deutschland war nicht ein staatlicher Konkurrent in einem Vakuum
verschwunden, vielmehr sah sich die damals noch Europa beherrschende
katholische Kirche weiterhin als Nachfolgerin des Imperium Romanum,
auch wenn diese Eigensicht zunehmend unrealistischer wurde. Seibt,
der Autor des vorliegenden Buches, urteilt: „Unter den
schlecht regierten Staaten der Halbinsel war der Kirchenstaat damals
der am schlechtesten regierte.“ (S. 120) Kein Wunder also, dass
die Kirche zunehmend ihre irdische Macht verlor und sich gar von französischen
Truppen schützen lassen musste. Doch standen die Trennung von
Kirche und Staat in ganz Europa, bis hin in die Türkei, früher
oder später auf dem Programm modernen Zeitgeistes, war also unumgänglich.
Statt jedoch die Zeichen der Moderne zu zeitigen und sich mit den gemäßigten
Kräften der liberalen Monarchie und des Parlaments zu einigen,
zog sich Papst Pius IX. ganz in seine Religion zurück und überließ dem
extrem konservativen Staatssekretär Antonelli das politische Parkett.
Der aber vergrub sich ideologisch in der Vergangenheit, wobei schon
Dante und Petrarca sich nicht zuletzt aus theologischen Gründen
gegen den weltlichen Besitz der Kirche gewandt hatten.
Im Sommer 1862 zogen 1300 Freiwillige unter der Führung Guiseppe
Garibaldis, des Helden von Sizilien, gen Rom, nachdem sie den Schwur „Roma
o morte“ („Rom oder Tod“) abgelegt hatten. Sie wurden
von regulären italienischen Truppen zurückgeschlagen, weil
die Regierung noch keine Auseinandersetzung mit dem Papst und den französischen
Truppen in Rom wollte. Erst acht Jahre später hatte die Diplomatie
das Feld bereitet, dass die Umsetzung des zehn Jahre alten Hauptstadtbeschlusses
innerhalb von wenigen Tagen mit militärischen Mitteln erreicht
werden konnte.
Gustav Seibt baut
sein Buch wie einen Essay auf: Die ersten Kapitel erzählen lebhaft den nur kurzen Kampf um Rom sowie die unmittelbaren
historischen, politischen und philosophischen Hintergründe. Dann
schlägt er mehrfach den Bogen zurück und erläutert im
Detail diplomatische Verwicklungen, porträtiert die wichtigsten
handelnden Personen und beschreibt den Ablauf der Ereignisse. Dies
geschieht in der erfrischenden Sprache des wohl informierten Sachbuchjournalisten
ohne jeden professoralen Staub. So kann es dann auch zu Aussagen wie
dieser kommen: „Der Wiener Nuntius, eine von Antonelli eingesetzte
Null ... erreichte nichts.“ (S. 54) Und auch die Anekdote mit
der Weintraube wird uns überliefert: Bei den Friedensverhandlungen
erhob sich ein Hauptmann der italienischen Armee, um eine Weintraube
aus einer Schale zu nehmen und musste, als er sich wieder setzen wollte,
feststellen, dass inzwischen eine Kugel in der Rückenlehne seines
Sessels eingeschlagen war.
Wir lernen zudem, dass „embedded journalism“ keine Erfindung
des amerikanischen Pentagon war, denn der Kriegszug der italienischen
Truppen nach Rom war vor allem ein symbolischer Akt, so dass die Journalisten
genau wussten, wo die symbolischen Grenzüberschreitungen und Warnschüsse
zu erwarten waren. Sie stellten sich rechtzeitig vor den Truppen dort
ein und berichteten für das ganze alte Europa. Damals wie heute
war dies natürlich nichts anderes als regierungsamtlich geplante
Propaganda.
Seibt beschränkt
sich allerdings nicht auf die diplomatischen und politischen Entwicklungen,
sondern zieht aus zeitgenössischen
Tagebüchern und Zeitungsartikeln interessante Beschreibungen des
Alltags im damaligen Rom vor. Denn erst nachdem Rom wieder Hauptstadt
geworden war, begann es, sich – außerhalb des Vatikans – jenes
Gesicht zuzulegen, das wir heute bestaunen.
fjk@saw
Gustav Seibt: Rom oder Tod: Der Kampf um die italienische Hauptstadt,
Berlin: Siedler 2001, 352 S., ISBN 3-8868-0726-6, 24,- Euro.
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