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Die Welt zerbricht – immer wieder

Krakatau„Eine Welle von beträchtlicher Höhe rückte mit rasender Geschwindigkeit auf die Küsten Westjavas und Südsumatras zu, wo sie mehr oder weniger großen Schaden anrichtete, je nach Entfernung vom Zentrum der Störung. Eine zweite, noch höhere Welle folgte der ersten im Abstand von etwa einer Stunde mit noch gravierenderen Auswirkungen.“ Dies ist kein Augenzeugenbericht der großen Flutwelle vom 26. Dezember 2004, sondern ein Zitat aus dem Bericht des britischen Konsuls A.P. Cameron an den britischen Außenminister Earl Granville vom 1. September 1883. Augenzeuge war der britische Kaplan von Batavia, Philip Neale: „Als ich auf das Meer hinausblickte, bemerkte ich in der Düsternis ein dunkles, schwarzes Objekt, das auf die Küste zukam. Auf den ersten Blick wirkte es wie eine flache Hügelkette, die aus dem Wasser aufragte – doch ich wusste, dass es in jenem Teil der Sundastraße nichts dergleichen gab. Ein zweiter Blick – ein sehr hastiger zudem – überzeugte mich, dass es sich um einen riesigen, mehrere Fuß hohen Wellenkamm handelte.“

Am 26. August 1883 brach der Vulkan Krakatau aus, eine Insel in der Sundastraße zwischen Sumatra und Java. Die Eruption dauerte 20 Stunden und 56 Minuten und endete am 27. August um 10.02 Uhr lokaler Zeit mit einer gewaltigen Explosion, bei der der größte Teil des Berges, insgesamt etwa 16 Mio. Kubikmeter Gestein, in die Luft geschleudert wurde oder versank. 165 Dörfer wurden zerstört, insgesamt zählte man 36.417 Tote. Die Schallwellen waren noch in 4700 km Entfernung zu hören, die Druckwelle ging sieben Mal um die Erde, die Flutwellen wurden noch in Cornwall in England gemessen, Bimsgestein mit eingeschlossenen Skeletten wurde an den Küsten Afrikas angeschwemmt. In Ceylon (heute Sri Lanka) starb eine Frau, die vom Sog des Wassers stürzte und sich das Genick brach. Doch nur wenige Menschen kamen in direkter Folge des Vulkanausbruchs, etwa durch herabstürzendes Gestein, ums Leben, mehr als 90 Prozent hingegen durch die beiden gigantischen Flutwellen.

All dies ist Inhalt eines faszinierenden Buches, das im Jahre 2003 veröffentlicht wurde, also weit vor der weihnachtlichen Katastrophe 2004. Und die Darstellung des britischen Wissenschaftsjournalisten Simon Winchester war auch damals schon nicht eine sensationelle neue Erkenntnis, sondern fasste nur in verständlicher Form zusammen, was über den Vulkanausbruch seit 120 Jahren bekannt war und wie sich die Ereignisse nach späteren wissenschaftlichen Erkenntnissen erklären lassen. Demnach war die erst 1965 von Wissenschaftlern anerkannte Theorie der Plattentektonik Ausgangspunkt. Nach ihr besteht die Erdoberfläche aus starren Platten, die sich verschieben, aufeinanderstoßen und sich dabei untereinander schieben. In solchen „Subduktionszonen“ entstehen Vulkane, und der indonesische Inselarchipel ist – bekanntermaßen – die gefährlichste Vulkanregion der Welt.

So weit die Bestandteile einer Naturkatastrophe wie die der Tsunami am 26. Dezember 2004, doch ist dies die rein technische Seite. Dass 2004 zehn Mal mehr Menschen als 1883 in den Fluten der Monsterwellen umkamen, hat jedoch auch andere Gründe, wie man heute weiß. Seit jenem Jahr nämlich, und in den Mythen und Geschichten der indonesischen Völker schon seit Jahrhunderten, ist die Gefahr bekannt, die von vulkanischen Landschaften, auch maritimen, ausgeht. Und heute können Wissenschaftler bis auf die Minute ausrechnen, wie lange eine Flutwelle, die in Sumatra entsteht, benötigt, um die Strände Indiens, der Malediven und Sri Lankas zu überschwemmen. Es sind mehrere Stunden; ein paar Telefonanrufe hätten also Zigtausende von Menschenleben retten können. Dass diese Frühwarnsysteme funktionieren, erlebte die Region auf´s Neue am 28. März 2005, als ein weiteres gigantisches Seebeben in der gleichen Region prompte Tsunamiwarnungen auslöste. Es blieb bei dem Beben, gottlob.

Winchesters Buch über den Krakatau ist eine faszinierende Lektüre für jeden, dem Wissensdurst keine Unbekannte ist. Weit ausholend, auf Gedankengängen, denen man als Leser bereitwillig folgen muss, führt uns der Autor dennoch unbeirrt ans Ziel: zu den harten Fakten des Ausbruchs, zu den Folgen, zu den Ursachen. Unterwegs erfährt man Erstaunliches über die niederländische Kolonialgeschichte, die Vorläufer von Charles Darwin, die Entstehung des Schiffsversicherers Lloyd’s, die Verlegung von Unterwasserkabeln, einen Zirkus in Batavia (heute Jakarta), der nach dem Ausbruch eine Wohltätigkeitsvorstellung gab und die Einkünfte den Opferfamilien spendete (!), dass die Zeitzonen erst bei einer Konferenz 1884 festgelegt wurden, so dass es zur Zeit des Vulkanausbruchs in Batavia gut vier Minuten später war, als an der javanischen Westküste.

Interessanterweise geht Winchester auch auf die politischen Auswirkungen ein, belegt, wie islamistische Prediger aus dem Jemen die vorher nur gemäßigt islamische Bevölkerung aufwiegelten und religiös fanatisierten. Bis heute sind die Folgen daraus ein hochpolitisches Problem in Teilen Westjavas und Sumatras. Ausländer wurden von Attentätern ermordet, eine Bewegung, die in den Bauernaufständen von Banten 1888 endete, die allerdings von den Kolonialtruppen genauso blutig niedergeschlagen wurden.

Doch fragen nicht heute in Banda Aceh die islamistischen Eiferer, warum die Moscheen den tsunami-Wellen trotzten? Und ist die Antwort, wenngleich in den Augen der Fanatiker eine andere, nicht ganz einfach: Weil sie mit dem Geld, das den einfachen Menschen abgepresst wird, aus solidem Stein gebaut werden, während die Menschen selbst in Baracken hausen müssen.

Seit Januar 1928 ist an der Stelle, an der sich einst der Krater des Krakatau befunden hatte, festes Gestein zu sehen, ein neuer Vulkan wächst in die Höhe: Der „Anak Krakatau“, Kind des Krakatau. Das Kind ist heute 450 Meter hoch und wächst pro Jahr um sechs Meter in die Höhe und zwölf Meter in die Breite. 2003 schrieb Simon Winchester: „Der Krakatau existiert und wird die Welt erneut überraschen, und zwar in absehbarer Zeit. Die Prozesse, die zu der Katastrophe im August 1883 führten, dauern an und sind nicht aufzuhalten. Südlich und östlich von Sumatra befindet sich eine Subduktionsfabrik von monumentalen Ausmaßen. Sie liegt direkt im Umkreis und unter der kleinen Insel, die auf dem Drehpunkt zwischen Sumatra und Java thront. Die Insel ist von dem leicht verdampfbaren Wasser des Meeres umgeben, das ein gewaltiges Chaos anrichtet, wenn es bis auf eine Meile an kochendes Magma herankommt. ... Insofern ist es fast ein Wunder, dass nur ein Krakatau existiert. Die Gegend ist geologisch so gefährlich, dass es durchaus denkbar wäre, Dutzende solcher Vulkane anzutreffen.“

fjk@saw

Simon Winchester: Krakatau: Der Tag, an dem die Welt zerbrach, 27. August 1883. btb 2005, ISBN: 3442733367, 368 Seiten, 9,50 Euro.

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