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Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat

Wie peinlich kann es sein, in einem bildungsbürgerlich engagierten Zirkel in ein Gespräch über die bis vor kurzem unbekannte Trägerin des Literaturnobelpreises einbezogen zu werden, wenn man ihr Buch bisher gar nicht gelesen hat…oder nicht einmal ihren Namen kennt (der im Übrigen Herta Müller lautet). „Alles Quatsch!“ sagt einer, der es wissen sollte, der französische Literaturprofessor und Psychoanalytiker Pierre Bayard, der uns eine gehörige Portion „sapere aude“ entgegenschleudert und die Peinlichkeit damit herzerfrischend gekonnt vom Tisch wischt. Jeder, so sagt er, spricht über Bücher, die er gar nicht gelesen hat. Und das sei auch gut so. Um seine wortgewandte und literarisch durchaus schlüssig belegte Argumentation zu stützen, reichert er sie geistreich und damit schalkhaft seinen bildungsbürgerlichen Feinden den Wind aus den Segeln nehmend mit renommierter Autoren und Werke an. Diese aber versieht er in neuer Manier mit UB = ungelesenes Buch, QB = quergelesenes Buch und gar VB = vergessenes Buch. Nicht, dass ihn dies daran hindern würde, die jeweilige Kategorie mit einem doppelten Plus für höchste Qualität oder gar einem Minus für schlechte Bewertung auszustatten. Seiner Theorie nach sprechen wir alle von Fragmenten, die nach dem Lesen in unseren Köpfen ein höchst kreatives und daher mit dem Original kaum noch vereinbares Eigenleben beginnen. Oder wir ordnen in bester Manier ein, was epochal oder thematisch zusammenhängt, können daher Fontane und Storm durchaus auf hohem Niveau miteinander vergleichen, ohne jedoch die jeweiligen Romane oder Gedichte tatsächlich mit Punkt, Komma und jeder Figurenfacette verinnerlicht zu haben. Diese Schubladen, diese Ordnung, das sei der Musilsche „Überblick“, den es in höchsten Tönen zu loben gilt, garantiere er doch eine Orientierung statt des Sich-Verlierens in einem einzigen Buch der unüberschaubaren Fülle von literarischen Werken. Und wer von uns will behaupten, ein Buch gelesen zu haben, wenn die Lektüre 20 Jahre zurück liegt und wir uns beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, was genau darin vorkam. Geschweige denn seien wir die gleichen Persönlichkeiten wie bei der damaligen Lektüre und – haben wir daher das Buch tatsächlich gelesen oder war dies geradezu ein anderer Mensch, der es tat. Was also besprechen wir denn da?

Pierre Bayard: Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat

Ein klarer Bruch mit dem Anspruch, ein gewisser literarischer Kanon gehöre nun einmal zur gehobenen Bildung. Ein entschiedenes Nein allen, die mit solch goldenen Regeln Verlegenheiten statt Energie und Schaffenskraft in uns wecken. Ein echter Aufklärer, der Herr Professor. Kant hätte ihn gemocht! Und wenn es denn doch noch eine Buchempfehlung geben darf nach dieser harschen Lesekritik: nehmen Sie dies! Und sei es nur als kleine literarische Bombe bei der nächsten Cocktailparty!

hf@saw

Pierre Bayard: Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat. Goldmann Verlag. ISBN 978-3442155576. 7,95 Euro.



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