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Und dann diese Stille

Und dann diese StilleGrethe Augustin liegt im Sterben. Walther, ihr 95-jähriger Ehemann, sitzt an ihrem Krankenbett und nimmt Abschied, während das EKG leise piept. Doch während er an ihrem Sterbebett sitzt, steigen nicht nur Schmerz und Trauer, sondern auch Aggressionen gegen seine Frau in ihm auf.

Walther wird seine Frau nur um wenige Wochen überleben, aber dazwischen liegen mehr als dreihundert Seiten, die Harriet Köhler in ihrem Roman "Und dann diese Stille" geschickt nutzt, um die emotionalen Abgründe einer bürgerlichen Durchschnittsfamilie auszubreiten.

Im Zentrum des Romans, der aus der Perspektive von Walther sowie dessen Sohn Jürgen und Nicki, dem Enkel, erzählt wird, stehen unaufgearbeitete Generationenkonflikte. Kein Wunder, denn in der Familie Augustin begegnet man Problemen seit jeher mit Verdrängung und emotionaler Verschlossenheit. Und es gibt Vieles, worüber man nicht spricht.

Als Soldat und Spätheimkehrer fand Walther nur mühsam einen Zugang zu seinem Sohn und seiner Frau. Während Grete der Schmach, die ihr russische Soldaten nach Kriegsende zugefügt hatten, zeitlebens nur mit einem ausgeprägten Putzwahn begegnen konnte, wachte Walther jede Nacht schreiend auf, weil ihn die Erinnerungen an die Kriegserlebnisse nicht losließen. Dröhnend legte sich das Schweigen über das traute Familienheim.

Jürgen konnte es seinem Vater, den er erst als Zehnjähriger kennen gelernt hatte, nie recht machen. Seine eigene Ehe scheiterte früh und jetzt im Ruhestand, bemüht sich der ehemalige Ingenieur wacker, aber vergeblich, die Aufgaben, die ihm das Leben stellt, zu bewältigen.

Und auch Nicki, der als Geräuschdesigner bei einem großen Automobilkonzern arbeitet, kann sich diesem verkrusteten Gebilde aus Lügen und Geheimnissen, in dem für echte Gefühle und Emotionen kein Platz bleibt, nur schwer entziehen.

Walther, der mit seiner Trauer und Wut am liebsten allein wäre, wird immer gebrechlicher und ist zu seiner eigenen Verzweiflung auf Jürgens Hilfe angewiesen und befürchtet, ins Heim abgeschoben zu werden. Wie in einem verdichteten Kammerspiel lässt Köhler die Figuren agieren, deren Beziehung vor allem durch Misstrauen und Enttäuschungen geprägt wird.

Selbst eine Außenstehende wie Nickis Verlobte, die Ärztin Ruth, kann nicht in den verschwiegenen Familienkosmos eindringen; die noch junge Liebe leidet unter den familiären Umständen, denn der Mantel des Schweigens lüftet sich nur langsam.

"Und dann diese Stille" ist aber mehr als ein Familienroman; die deutsche Nachkriegsgeschichte sowie die DDR-Flucht aus dem Vogtland und der Neubeginn in der Bundesrepublik spielen eine wichtige Rolle und sind gewissermaßen der Nährboden, aus dem sich die Probleme speisen.

Nach ihrem Debütroman „Ostersonntag“ ist der erst 33 Jahre alten Harriet Köhler bereits ein zweiter großer Wurf gelungen. Einfühlsam hat sie die Abgründe des bürgerlichen Alltags seziert, Traumatisierungen ebenso erkundet wie die Schwierigkeiten, einen würdigen Umgang mit Alter, Gebrechlichkeit und Tod zu finden. Intensiv und lesenswert.

ran@saw

Harriet Köhler: Und dann diese Stille. Kiepenheuer & Witsch. ISBN 978-3462041910. 19,95 Euro.

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