Der Schah und die BauernWer Erklärungen für gegenwärtige Entwicklungen in islamischen Gesellschaften sucht, tut gut daran, einen Blick auf die Geschichte des Iran im 20. Jahrhundert zu werfen. In Geschichtsbüchern mag dies manchem als zu mühsam erscheinen, warum also nicht durch einen Roman, der zudem den Vorteil besitzt, eben jene Historie aus der Perspektive einfacher Bauern und junger Intellektueller zu erzählen. Der Name Kader
Abdolah ist das Pseudonym eines in die Niederlande geflohenen Iraners,
der in seinem Buch auch diese Zäsur und Entfremdung
schildert. Denn auch sein Buchheld Esmail muss schließlich in
die Fremde fliehen, wie so viele Iraner aus ganz unterschiedlichen
Gesellschaftsschichten. Dort in der Fremde erzählt er die Geschichte
seines Vaters, des taubstummen Agha Akbar, der ein Buch in einer merkwürdigen
Keilschrift hinterlassen hat, die Esmail nicht lesen kann. Das Buch
erschließt sich jedoch durch Esmails Erinnerung an Akbars Leben
und damit an sein eigenes. Wer nun glaubt,
dies sei ein Roman für religiöse Schwärmer,
liegt völlig falsch, denn was auch immer geschieht, es wird gleichzeitig
ironisch gebrochen. So mögen die einfachen Bauern, die das Gros
der Protagonisten in diesem Roman darstellen, zwar auf den ersten Blick
den Eindruck von Tölpeln erwecken, doch besitzen sie jene typische “Bauernschläue”,
die man, Kultur übergreifend, allen echten Landbewohner nachsagt.
Vor allem aber besitzen sie Menschlichkeit im Übermaß. Was
sich als Wohltat denen gegenüber erweist, die das Leben eines
Taubstummen führen müssen oder einer Witwe mit Kindern, für
die Alten und Schwachen und die plötzlich politisch Verfolgten. Eine anrührende Geschichte, zuerst veröffentlicht im Jahr 2000, also vor allen “Ereignissen”. Hätte doch einer sie dem Pentagon zur Pflichtlektüre verschrieben, vielleicht herrschte dort mehr Sinn und Verstand, ganz zu schweigen von dem, was die Menschen in der Bergregion bei der Prophetenhöhle auszeichnet: Menschlichkeit. fjk@saw Abdolah,
Kader: Die geheime Schrift (aus dem Niederländischen von Christiane
Kuby), Stuttgart: Klett-Cotta 2003, 367 S., ISBN 3-6089-3512-6,
22,50 Euro. |