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Atlas für verschollene Liebende

Atlas für verschollene LiebendeDer 1966 im pakistanischen Gujranwala geborene Nadeem Aslam kam im Alter von 15 Jahren nach Huddersfield in Nordengland, weil sein Vater zu Hause politisch verfolgt wurde. Aslam studierte zunächst Biochemie, brach dann aber sein Studium ab, um sich der Literatur zu widmen. Sein „Atlas für verschollene Liebende“, an dem er elf Jahre arbeitete, beschreibt ziemlich genau seine Jugendzeit in der grauen, etwas heruntergekommenen englischen Stadt, in der es praktisch eine zweite Stadt, die der Pakistanis, gibt. Kontakt zu „den Weißen“ besteht kaum.

Im pakistanischen Huddersfield lebt die Dorfgemeinschaft aus dem indischen Subkontinent fort. Jeder beobachtet jeden, alte Sitten und Gebräuche halten sich hartnäckig, nicht einmal die Essensgewohnheiten haben sich geändert. Auch nicht die Moralvorstellungen. Jugnu und Chanda sind verschwunden, ein Liebespaar, erwachsene Menschen von Anfang zwanzig und Anfang dreißig, die allerdings ohne Trauschein zusammenlebten. Shamas, Jugnus Bruder, und seine Frau Kaukab stehen im Zentrum des Geschehens, um sie herum und schließlich auch in ihrer Ehe bricht die Welt, die alte Welt zusammen. Ihre Kinder werden erwachsen, widersetzen sich den religiösen Indoktrinationen der muslimischen Prediger und der schlichten Gläubigkeit ihrer Mutter, nähern sich der „weißen“ Gesellschaft an. Daran wiederum verzweifelt Kaukab.

Shamas war in der Heimat politisch gegen das Militärregime aktiv. Ihm fehlen in der Ferne die intellektuelle Auseinandersetzung, die Bücher, der Kampf für ein besseres Leben. Er wiederum verzweifelt an Kaukabs Abwehr aller Konflikte und ihrer Naivität. Shamas’ besseres Leben verliert sich jetzt in Träumen von der Vergangenheit und von einer attraktiven, klugen Frau. Eine Familie zerbricht, Perspektiven haben nur die Kinder, die sich aus den alten Wertvorstellungen gelöst haben. Sie haben sich Wertvorstellungen angeeignet, die einen „Ehrenmord“ wegen „wilder Ehe“ nicht mehr einschließen.

Im toleranten Großbritannien, aber nicht nur dort, leben die verschiedenen Kulturen weitgehend nebeneinander her. Der genau konstruierte und eindringlich erzählende Roman von Nadeem Aslam öffnet ein Fenster zu den abgeschlossenen muslimischen Kulturen in Europa. Aslam bezieht klar Stellung: Ein Leben wie in Pakistan ist im Westen nicht möglich und nicht erstrebenswert. Er sucht Bereicherung in beiden Kulturen und lehnt Religion als reinen Eskapismus ab. Äußerst lesenswert.

fjk@saw

Nadeem Aslam: Atlas für verschollene Liebende. Reinbek: Rowohlt 2005. ISBN 3-499-24419-5. 542 Seiten. 9,90 Euro.

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