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Entscheidungen

Entscheidungen – als der sechsjährige Gerhard Schröder noch „zu zart und nachkriegsmager“ war, um im TUS Bexterhagen als vollwertiger Kicker anerkannt zu werden, lebte er seinen Ehrgeiz in der Schule aus, ließ sich aber auch immer wieder auf dem Bolzplatz bitten. Bis den heiß beneideten Bauernjungen aus der Fußballmannschaft keine andere Wahl blieb, als dem „kleinen Gerd“ die Frage aller Fragen zu stellen: „Willst Du mitmachen?“

„Ich will das und das,“ treffender kann die Lebensphilosophie des Gerhard Schröder nicht beschrieben sein, und wenn das Ziel auf dem direkten nicht zu erreichen war, dann blieb man eben so lange im Blickfeld, bis kein Weg an dem immer bereiten, ständig präsenten Mann vorbeiführte. Entscheidungen, in der Konsequenz nicht immer selbst getroffen, es anderen aber unmöglich gemacht, sie aus der Richtung Schröder oder gar gegen sie zu treffen.

Gerhard Schröder

Gerhard Schröders politische Karriere verlief nicht anders als manch andere, gerade zu dieser Zeit, gerade in der Sozialdemokratie. Sie verlief jedoch rasanter, unaufhaltsamer und mehr beachtet, was sie zu einer der spannendsten Lebensläufe in der deutschen Politik formte. Auch Otto Schilys Karriere war nicht weniger aufsehenerregend – doch wurde er zunächst zum Dogmatiker, dann zum zahnlosen Tiger. Auch Joschka Fischers politische Vita könnte bildlich nicht mit einer Wiese voller Gänseblümchen verglichen werden – zum Schluss geisterte er in einem Irrgarten zynischer Possen umher. Björn Engholm, Peter Glotz, Wolfgang Clement, Klaus Kinkel, Hans Koschnik, sie alle verkörperten während ihrer aktiven Zeit eine Szene von Protagonisten, deren politische Größen im Abglanz des Meisters Schröder nach und nach zur Unkenntlichkeit verblassten.

Nur wenige Weggefährten des ehemaligen Bundeskanzlers konnten ihr eigenes Profil bilden und erhalten: Franz Müntefering, Henning Scherf, Guido Westerwelle... – die anderen und viel mehr nutzte Gerhard Schröder zur Durchsetzung seiner Visionen, seiner Arbeit an der unbedingten Veränderung der politischen Landschaft bundesdeutscher Prägung. Entscheidungen. Kein anderer zeitgenössischer Politiker hätte den Mut gehabt sie konsequenter treffen können, kein anderer wäre in der Lage gewesen, die Bundesrepublik aus ihrer jahrelangen Erstarrung zu führen. Am vorläufigen Ende seiner politischen Karriere angelangt, entschied Gerhard Schröder mit einem beispiellosen Wahlkampf die Sympathien der Wähler noch einmal für sich, was für das große Ganze aber nicht reichte.

Und so entschied er sich für einen Ausstieg, denn einen weiteren Entscheidungsträger an seiner Seite zu haben, kommt für einen Gerhard Schröder nicht in Frage. Angela Merkel, der man hätte zuhören müssen, mit der man hätte Kompromisse schließen müssen, mit der man hätte im Doppelpack auftreten müssen oder gar als Hintergrundstaffage – keiner, der Gerhard Schröders politisches Leben durch diese Autobiografie noch einmal und gebündelt vor sich ablaufen sieht, wird diesen letzten Schritt des Altkanzlers anzweifeln.

Eckige, unfügsame und konsequent egozentrische Charaktere faszinieren immer. Umso besser passt auch die gnadenlose Marketingkampagne für „Entscheidungen“ in dieses Gesamtbild. In einem Kommentar sagte Dieter Hildebrandt dazu: „Es wird das meist gekaufte und das am wenigsten gelesene Buch des Jahres sein.“

Stimmt sicher, obwohl es viele Aha-Momente birgt, manches Schmunzeln hervorbringt und ebenso häufiges Kopfschütteln. Ein Leseerlebnis also, das sich lohnt? Ja, wenn man die vielen Ich-Satzanfänge ertragen will und sich von der Hoffnung lossagt, alles über den wirklichen Gerhard Schröder zu erfahren. Denn so laut, schnell und aufgebauscht die Vermarktungsinszenierung für das Buch war und ist, so hartnäckig hält sich bei einem politisch nicht ganz unvorbelasteten Leser das Gefühl, vereinnahmt zu werden. Was nicht bedeutet, dass man sich in einer Scharade wähnt, wohl aber scheint man nur das zu lesen zu bekommen, was Gerhard Schröder einem zu lesen geben will. Den Kinderfreund, den Menschenfreund, den Männerfreund, den Diplomaten, den Liebenden, den Kompromisslosen, den Guten, das Schlitzohr, den Vater, den Verständnisvollen, den Anerkannten, den Ästheten, den Reformator, den Aufsteiger, den Optimisten, den Zuhörer, den Analysten, den Zauderer im Namen der Menschlichkeit, den Faszinator.
Wem das 25 Euro wert sind, der nimmt eine Trendmarke mit nach Hause. Etwas, das man in diesen Zeiten auf jeden Fall haben sollte...

usch@saw

Gerhard Schröder: Entscheidungen. Mein Leben in der Politik. Ullstein Tb. ISBN 3548369375, 9,95 Euro

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