Bei den Jecken jenseits des Rheins - Pappnasen, Schweinsblasen und ...

Karneval in Wallonien in Belgien

Text: Ferdinand Dupuis-Panther
Fotos: Ferdinand Dupuis-Panther und Belgisches Verkehrsamt in Deutschland

Wallonien / Malmedy

Nun ist es wieder soweit: die fünfte Jahreszeit wird in vollen Zügen genossen, auch bei unseren Nachbarn an Maas und Schelde. Das »savoir vivre«, bei geselligem Beisammensein aus vollem Herzen zu feiern, scheint den Belgiern trotz und gerade wegen aller Sorgen des Alltags angeboren zu sein. Ausgelassen geht es vor allem während des Karnevals in Aalst, Binche, Eupen, Malmedy und Stavelot zu. Gefeiert wird am Anfang wie auch in der Mitte der Fastenzeit, die sechs Wochen vor Ostern beginnt. Rosenmontagsumzüge - fern telegener Verpackung wie hierzulande - ziehen durch die Straßen, Karnevalsprinzen werden gewählt und auch der Karnevalsball darf nicht fehlen. Diese Tradition des rheinischen Karnevals mit Schunkeln, Prinzenproklamation  und Session kennen die meisten, doch wer sind die Gilles? Und was passiert schließlich am »fetten Dienstag« in Malmedy?

Wallonien / Karneval 1

Auf wen haben es denn diese Gestalten abgesehen
© Belgisches Verkehrsamt in Deutschland

Wippende Straußenfeder, Apfelsinen und...

Wer das deutschsprachige Ostbelgien verläßt und gen Westen nach Wallonien reist, wird insbesondere zur Karnevalszeit aus dem Staunen nicht herauskommen: In Binche, unweit von Mons, tanzen dann die Gilles zu dumpfen Trommelwirbeln. Im Takt der Wirbel wippen die Straußenfedern, die die Gilles als Kopfschmuck zu ihren gelb-roten, mit Rüschen und Schellengürteln verzierten Kostümen tragen. Einem Brauch folgend, der 1540 aufgekommen sein soll, als Maria von Ungarn die Südlichen Niederlande, das heutige Belgien, verwaltete, verschenken die farbenprächtig gekleideten Gilles Apfelsinen an das Volk. Mit dieser Geste wollen sie den Winter vertreiben und die Sonne »beschwören«.

Wallonien / Karneval 2

Aus den Zeiten Kaiser Karls V: Die Gilles von Binche
© Belgisches Verkehrsamt in Deutschland

Vier Tage lang steht Binche Kopf. In aller Herrgottsfrühe, gegen fünf Uhr, eilen die borreurs, die sogenannten »Ausstopfer«, durch die Gassen und Straßen, um die Gilles aus den Federn zu werfen und ihnen beim Ankleiden zu helfen. Besonderer Wert wird dabei auf das Ausstopfen des markanten Buckels gelegt. Vormittags tanzen dann die Gilles , die Wachsmasken, Backen- und Kinnbart sowie grüne Nickelbrillen tragen, vor dem Rathaus.

Wallonien / Karneval 3

Achtung, die Gilles sind los
© Belgisches Verkehrsamt in Deutschland

Erst am Nachmittag werden dann für den Umzug durch die Stadt die Masken abgelegt und die Straußenfederhüte aufgesetzt. Am Sonntag machen zudem Männer in Frauenkostümen, die »mam'zeles«, und Frauen in Männerkostümen, die »binchous«, das Städtchen »unsicher«.

 Wallonien / Karneval 4

So kennt man sie: Die Gilles von Binche
© Belgisches Verkehrsamt in Deutschland

Nicht minder überraschend verläuft der Karneval in Malmedy, hier cwarmê genannt. Während der tollen Tage begegnet man dem Trouv'lê mit seiner charakteristischen Bäckerschaufel. Ihm muß der Bürgermeister die Schlüssel der Stadt aushändigen, nachdem der Grosse-Police am Samstag mit seiner Glocke den Karneval eingeläutet hat. Auf Schaulustige am Straßenrand hat es der Haguète abgesehen, der mit seiner Scherenzange den einen oder anderen Zeitgenossen in die Knie zwingt. Auch die Long nez mit ihren auffälligen, langen roten Nasen und Pierrot sowie Harlekin dürfen bei diesem Spektakel nicht fehlen.

Wallonien / Malmedy 1

Jeder muß sich vor dem Haguète in Acht nehmen
© Ferdinand Dupuis-Panther

Und am »mardi gras«, dem »fetten Dienstag« ist mit dem Verbrennen einer lebensgroßen Stoffpuppe, die Figur des Haguète darstellend, alles vorbei.

Am Frühlingsanfang erobern die Jecken erneut die Straße

Wochen nach dem uns bekannten närrischen Treiben beginnt in Stavelot der Karneval. Fleißige Hände werkeln und basteln schon Monate im voraus, legen Hand an die Kostüme und proben bis zur letzten Minute in Fanfarenzügen »heiße« Rumbarhythmen, die während des Karnevals zur Mitfastenzeit - am Sonntag Laetare - zu hören sein sollen.

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Wallonien / Stavelot

Wahrzeichen der Stadt: ein Blanc Moussi am Ortseingang von Stavelot
© Ferdinand Dupuis-Panther

Ohne die Mitglieder der Blancs Moussis, einer ehrwürdigen Bruderschaft der in Stavelot geborenen Männer, wäre der Karneval in diesem schmucken wallonischen Örtchen am Rande des deutschsprachigen Teils von Ostbelgien nicht denkbar. Ins Leben gerufen wurde diese Bruderschaft, als Wilhelm von Manderscheidt Fürstabt von Stavelot-Malmedy war. Dieser Kirchenfürst war gegenüber seinen Untertanen überaus streng und verbot den Karneval, an dem sich auch Mönche der Abtei beteiligten. Einwohner von Stavelot ließen sich dies jedoch nicht gefallen und umgingen das Verbot: Eingehüllt in Bettlaken und Bezügen, die Gesichter hinter weißen Masken mit hochstehender, roter Nase verborgen, wurde lustig gefeiert. Masken und Kostüme boten Anonymität und Schutz vor dem Arm des Fürstabtes. An diese Tradition knüpfen die Blancs Moussis bis heute an.

Zu Beginn des Frühlings wird Stavelot zur Karnevalshauptstadt, während Jecken andernorts sich bis zum nächsten Jahr gedulden müssen. Fröhlich geht es beim Herrenessen der Bruderschaft zu: Gerstensaft spült die Kehlen, Gesang füllt den Saal: »Wir bleiben fröhliche Wallonen, würdig unseren Ahnen, denn wir sind wie sie Bacchusjünger....« Und kaum ist das eine Lied verstummt, wird ein neues angestimmt: »Füllt den Becher bis zum Rand, füllt ihn aufs Neue randvoll. Denn wir sind die größten Säufer vor dem Herren ...«

Wallonien / Stavelot

Nicht nur Hexen sind in Stavelot unterwegs
© Ferdinand Dupuis-Panther

Am Samstagvormittag vor Laetare grüßen Blancs Moussis aus Pappmaschee von einigen Hausfassaden. Beim Bäcker warten Blancs Moussis aus Marzipan auf ihre Käufer. Mit Einbruch der Dämmerung jedoch beleben sich die Straßen, mischen sich Katzen unter Sträflinge, bayerische Jodler unter Geister und Gorillas: Das Örtchen erwacht zum Leben, und der Duft von Fritten zieht über den Platz vor der Ruine der ehemaligen Abtei.

Musikkapellen lassen Samba à la Rio erklingen. Schaulustige stehen an den Straßenrändern und warten auf gelbschwarz gekleidete Harlekine. Zuckerwatte verklebt so manches Kindergesicht.

Wallonien / Stavelot

Ein Riesen-Kapuzenmann auf den Straßen von Stavelot
© Ferdinand Dupuis-Panther

Nach diesem Auftakt folgt der Höhepunkt am Sonntag mit den Konfettikanonen auf dem Wagen der Blancs Moussis, deren Nachwuchs ebenso unterwegs ist wie drei »Riesen« in Blancs-Moussis-Kutten. Mit Leitern ausgerüstet eilen die weißen Kapuzenmänner von Haus zu Haus und verkleben Plakate, die mit witzigen Wortspielen dem einen oder anderen Mitbürger einen »Denkzettel« verpassen.

Wallonien / Stavelot

Höhepunkt des Festes zum Frühlingsanfang: der Sonntagsumzug
© Ferdinand Dupuis-Panther

Einzelne Mitglieder der Blancs Moussis, die Gesichter hinter weißen Masken verborgen und mit Schweinsblasen in der Hand, tauchen in der Menge unter. Sie sind auf der Suche nach dem nächsten »Opfer«: ein Schlag mit der Schweinsblase ist ihm gewiß. Derweil überschütten andere einen schadenfrohen Zuschauer mit Konfetti... Also, auch ohne »Helau« ein fröhlicher Karneval.

Reiseinformationen zu Wallonien

Fremdenverkehrsämter

Office du Tourisme Binche, "Caves Bette", Parc communal, rue des Promenades, 2, B-7130 Binche, Tel.: 00 32 / (0)64 / 33.67.27, tourisme@binche.be

Office du Tourisme Malmedy, Place Albert I, 29, 4960 Malmedy, Tel.: 00 32 / (0)80 / 33.02.50
Ville de Malmedy, Rue Steinbach, 1 B-4960 Malmedy, Tell. : 00 32 / (0)80/ 79 96 66, accueil@malmedy.be

Office du Tourisme Stavelot, Aile vitrée de l'Abbaye
Courrier: Place St Remacle 32- B-4970 Stavelot
Tel.: 00 32 / (0) 80 / 86.27.06, info@abbayedestavelot.be

 

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