Äthiopien im Überblick

Es könnte die Wiege der Menschheit sein, denkt man an „Lucy“, das berühmte 3 Mio. Jahre alte Fossil im Nationalmuseum von Addis Abeba. Forscher hatten es 1974 im Land der Afar aus dem Sand geborgen und nach eingehender Untersuchung der Kategorie „Australopithecus“ zugeordnet. Sein Fund war der Auftakt zu weiteren Aufsehen erregenden Entdeckungen von Überresten der frühen Vorfahren des Menschen im Afar-Gebiet, was „Lucy“ das wissenschaftliche Anhängsel „afarensis“ einbrachte.

Äthiopien, Foto: Pixabay

Archäologen berichten von frühzeitigen arabischen, nordafrikanischen und schwarzafrikanischen Einflüssen in den begünstigten Landstrichen am Horn von Afrika. So sind aus Ägyptens frühdynastischer Epoche vor 5.000 Jahren Schriftstücke erhalten, die über eine Lieferung von Weihrauch, Gold, Elfenbein und Sklaven aus Äthiopien berichten. Und auch zu den Völkern des sabäischen Kulturkreises im Südwesten Arabiens gab es schon vor Zeiten intensive Kontakte. Gegen Mitte des 1. vorchristlichen Jahrtausends machten sich Auswanderer von dort auf den Weg in den Norden Äthiopiens, unterwarfen die Ureinwohner und gründeten wohl um Christi Geburt das spätantike Reich von Axum. Intensiver Handel mit Arabien, Indien und Städten am Mittelmeer machte Axum reich und mächtig. Seine damalige Vormachtstellung im ostafrikanischen und südarabischen Raum ist historisch belegt. Mitte des 4. Jahrhunderts führten Axums Machthaber das Christentum als Staatsreligion ein, als drittes Land überhaupt nach Armenien und Georgien. Mit dem Vordringen des Islam seit dem 7. Jahrhundert wurde das Reich von der abendländisch-christlichen Welt isoliert und betrieb eine kulturelle Eigenentwicklung. Vom Ende des 13. bis ins 15. Jahrhundert erlebte es eine neue Blüte. Es war die Zeit der Königschroniken, als man sich seiner großen Geschichte vergewisserte und das Nationalepos „Kebra Negest“ (Vom Ruhm der Könige) entstand. Es erzählt von der salomonischen Abstammung der äthiopischen Könige, der Liebesbeziehung der Königin von Saba mit dem „berühmtesten und weisesten aller Herrscher“, König Salomo  von Israel und Juda. Aus ihrer Verbindung soll Äthiopiens erster Kaiser, Menelik I. („Sohn des Weisen“), hervorgegangen sein. Nachfolgende Herrscherfamilien betonten stets ihre direkte Abstammung von der salomonischen Dynastie bis hin zum „Löwen von Juda“ und „König der Könige“, Kaiser Haile Selassi (1892 – 1975), der sich als 225. Nachfolger des Sohnes von Salomo und der Königin von Saba verstand.


Äthiopien: Weltkulturerbe Gondar, Foto: lino beltrame, fotolia.com

Weltkulturerbe Gondar
© lino beltrame, fotolia.com

Neue Akteure betraten die Bühne. Neben katholischen Missionaren, die den orthodoxen Äthiopiern den wahren Glauben vermitteln wollten, waren es die muslimischen Krieger des benachbarten Sultanats von Adal, das die Bergfestung berannte. Auch osmanische Türken intervenierten, portugiesische Truppen kamen den Bedrängten zu Hilfe. Wieder verfällt die Zentralgewalt. Provinzen gewinnen an Macht. Großbritannien nimmt massiv Einfluss auf das politische Geschehen und auch Italien versucht seit 1882, in Äthiopien als Kolonialmacht Fuß zu fassen. Ein neuer, fähiger Machthaber, Kaiser Menelik II., stärkt den Zusammenhalt und besiegt die eingedrungenen Italiener 1896 in der Schlacht von Adua. Italien gelobt Mäßigung (40 Jahre wird sie Bestand haben), im Gegenzug entlässt Äthiopien 3.000 italienische Kriegsgefangene. Zum ersten Mal hatte eine afrikanische Streitkraft die Truppen einer europäischen Kolonialmacht besiegt.  Äthiopien konnte als einziges afrikanisches Land seine Unabhängigkeit bewahren, was auch dem Umstand zu verdanken war, dass die europäischen Staaten beim Wettlauf um die Vormacht in Äthiopien sich gegenseitig in Schach hielten.

In Meneliks Regierungszeit fällt die Gründung von Addis Abeba. Die „neue Blume“, wie sie in der amharischen Sprache heißt, wird die neue Hauptstadt Äthiopiens. Heute platzt die Metropole aus allen Nähten. Der Landbevölkerung in den unterentwickelten Regionen erscheint sie wie eine Fata Morgana, die schier unbegrenzte Arbeitsmöglichkeiten und die Aussicht auf ein geregeltes Einkommen verheißt. Seit Mitte der 70er Jahre ergießt sich ein endloser Strom von Zuwanderern in die überquellenden städtischen Randzonen. Innerhalb von 20 Jahren verdoppelte sich die Einwohnerzahl. Für das Jahr 2015 rechnen die Stadtoberen mit 5,1 Mio. Einwohnern. Der permanente Bevölkerungsdruck macht den Aufbau einer funktionierenden städtischen Infrastruktur zu einer Sisyphusarbeit. Bis vor kurzem gab es noch gar keine Stadtplanung. Man überließ das Wachstum einfach sich selbst mit der Folge, dass ein früher so behagliches Addis Abeba zu einer Stadt der brutalen Gegensätze mutierte. Schicke Straßen wurden gebaut, Einkaufszentren, Büropaläste, Villenviertel, während in Sichtweite Behelfsunterkünfte und traditionelle Behausungen aus Flechtwerk und Lehm entstanden, wie einst in den Dörfern ausgestattet mit Schafen, Ziegen, Rindern, Hühnern. UN-Habitat vermutet, dass mindestens 80 % der Einwohner in Slums hausen.

Man sollte der alten Dame „Lucy“ einen Besuch abstatten und den Sammlungen des Ethnographischen Museums auf dem Campus der Universität von Addis Abeba in einem früheren Palast des Kaisers Haile Selassie. Auch der eine oder andere Bau der Italiener aus den 30er Jahren lohnt die Besichtigung. Am Weg zum Mercato im Stadtteil Addis Ketema passiert man die Große Anwar Moschee, religiöses Zentrum der äthiopischen Muslime. Noch immer trägt der „Mercato“ seine italienische Bezeichnung aus der Besatzungszeit (1936-41). Er ist der größte Freiluftmarkt Afrikas, ein quirliges Labyrinth, in dem man ohne Führung verloren ist. Hier bleibt kein Wunsch unerfüllt. Es gibt billigen chinesischen Plastikkram, Lebensmittel, Schmuck, Textilien, schöne Souvenirs aus Ateliers und Werkstätten, Nutztiere, Drogen, Computer, allerlei Fälschungen und jede Menge Taschendiebe.

Zu den heiligen Stätten der Christen

"Northern Historical Route" heißt eine bei ausländischen Besuchern beliebte . Sie beginnt in Addis Abeba und führt in einem weiten Bogen durch das nördliche Hochland und zurück in die Hauptstadt. Erfahrene Reiseveranstalter übernehmen die Planung und erläutern das Für und Wider einer Reise mit dem Geländewagen oder einem Flugzeug, verweisen auf die touristisch unzureichende Erschließung und verschweigen auch nicht die zu erwartenden Strapazen.

Aber zunächst geht es ganz zügig und bequem an Bord einer kleinen Maschine der Ethiopian Airlines nach Bahir Dar am Südufer des Tana-Sees. Mit mehr als 3.000 km² ist er gut sechs Mal größer als der Bodensee und seine Lage in 1.830 m Höhe macht ihn zu einem der am höchsten gelegenen Seen der Welt. Für die hier siedelnden christlichen Amharen waren die zahllosen Inseln  des Sees in vergangenen Jahrhunderten Zufluchtsort und Stätten der Meditation. Auf einigen Inseln entstanden seit dem 14. Jahrhundert herrlich ausgemalte Kirchen und Klöster, die noch heute die mumifizierten Überreste früherer äthiopischer Kaiser verwahren und viele Schätze hüten, darunter uralte Ikonen, Kaiserkronen, Manuskripte, Prozessionskreuze.  Der Abay, besser bekannt als Blauer Nil, ist der wichtigste Abfluss des Tana-Sees. Zwei, drei Dutzend Kilometer weiter südlich bietet er den Besuchern ein großartiges Naturschauspiel. Auf einer Breite von einem halben Kilometer stürzen seine Wassermassen über eine Felskante 45 m in die Tiefe, bevor er den 4.052 m hohen Mt. Choke weiträumig umkreist, sich dann nach Westen wendet, um den langen Weg zum Mittelmeer anzutreten. Die Nilfälle von Tissisat, was so viel wie „dampfendes Wasser“ bedeutet, zählen für viele Betrachter zu den schönsten der Erde.
    
180 km weiter, nunmehr im Geländewagen, wird die ehrwürdige Stadt Gondar angefahren, von 1636 bis 1864 Hauptstadt des äthiopischen Kaiserreichs. Kaiser Fasiladas baute das unscheinbare Dorf Gondar zu seiner Residenz aus, denn es lag geschützt, hatte ein angenehmes Klima und war Dank seiner Höhenlage (über 2.300 m) frei von Malaria. Umschlossen von einer 900 m langen Mauer entstanden Paläste, Kirchen, Klöster, öffentliche und private Gebäude. Erinnert die Hauptburg mit ihren Türmen und zinnengekrönten Mauern an mitteleuropäische Vorbilder, so zeigen andere Bauten arabische und indische Einflüsse. Schulen für Dichtung, Malerei und Musik entstanden unter den Nachfolgern des Fasiladas. Die noch heute eindrucksvollen Ruinen des alten Gondar wurden 1979 in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen.    

Äthiopien: Die Kirche des Hl. Georg in Lalibela, Foto: Galyna Andrushko, fotolia.com

Die Kirche des Hl. Georg in Lalibela
© Galyna Andrushko, fotolia.com

Die dramatische Gebirgslandschaft des Simien Nationalparks, 120 km weiter nördlich, ist unser nächstes Ziel. Starke Erosionsvorgänge haben hier im Laufe von Jahrmillionen scharf gezackte Berggipfel, tischförmige Felsstöcke, tiefe Schluchten und über 1.000 m senkrecht abstürzende Felswände zu einer spektakulären Landschaft geformt. Afro-alpine Vegetation, Hochmoore, Gebirgssavannen und Heideland bedecken Plateaus und Hänge. Baum-Erika, Riesenlobelie, Frauenmantel, Schlüsselblumen, Moose und Flechten, raues Grasland gedeihen in dem extremen Gebirgsklima. Der Nationalpark wurde einst zum Schutz des nur hier vorkommenden Äthiopischen Steinbocks eingerichtet. Auch andere bedrohte Tierarten finden im Simien Nationalpark ungestörte Aufzucht- und Jagdareale, darunter der Äthiopische Wolf und der Blutbrustpavian. Häufiger vertreten sind Mantelpavian, Stummelaffe, der kaninchengroße Klippschliefer, ein – man kann es kaum glauben – entfernter Verwandter des Elefanten und der Seekuh, der luchsähnliche Karakal und die Tüpfelhyäne, die Antilopenarten Buschbock, Kronenducker und Klippspringer sowie Turmfalke, Lämmergeier, Kaffernadler. Für einen Besuch ist die Trockenzeit von Dezember bis März am besten geeignet. Oktober bis Dezember sind die kältesten Monate, nachts fallen die Temperaturen dann nicht selten unter Null. Der „Simien“ ist auf Touristen eingestellt. Es gibt „campsites“ und auch Wegmarkierungen. Ortskundige Führer freuen sich auf die seltenen Gäste.

Hoch im Norden, nahe der Grenze zu Eritrea, liegt ein Ort mit großer Vergangenheit, die ihn auf eine Stufe stellt mit den Großmächten seiner Zeit, Persien und Byzanz. Das Reich von Axum profitierte von seiner Lage als Knotenpunkt mehrerer Karawanenstraßen zwischen dem südlichen Arabien und dem östlichen Mittelmeer. Und es wurde zur Wiege des christlichen Äthiopien, zur heiligen Stadt der äthiopisch-orthodoxen Gläubigen, zu einer viel besuchten Pilgerstätte. Von ganz besonderer Bedeutung ist die kleine Kirche St. Maria von Zion, in der nach einer Legende die Bundeslade mit den Originalen der Gesetzestafeln des Moses aufbewahrt werden, bewacht von einem Priester, der bis an das Ende seiner Tage diesen Ort nicht verlassen wird.   

Das Stadtbild von Axum aber wird von gigantischen Stelen und monolithischen Obelisken sowie von Ruinen alter Königspaläste mit gewaltigen Ausmaßen aus dem 1. bis 13. Jahrhundert geprägt. Die aus den 15 km entfernten Granitsteinbrüchen stammenden Rohlinge wurden auf noch heute unbekannte Weise transportiert, bearbeitet und aufgestellt. Einmal misslang die Aufrichtung: der Obelisk, 33 m lang, über 500 t schwer, liegt in Einzelteile zerbrochen dekorativ im Gelände. Der größte heute noch stehende Obelisk ist 23 m hoch und reicht 3 m in den Boden. In seine Oberfläche sind die Umrisse einer Tür und die neun Stockwerke eines imaginären Hauses gemeißelt. Ein anderer Obelisk wurde 1937 auf Geheiß Mussolinis demontiert, nach Rom transportiert und wie die einst von den alten Römern in Ägypten geraubten Obelisken in Rom aufgestellt. Seit 2008 steht er wieder an seinem angestammten Ort.
Man nimmt an, dass manche Obelisken einem frühen heidnischen Sonnenkult gedient haben und die rund 130 Stelen als Grabsäulen für Herrschergräber gedacht waren.

Äthiopien: Mit einer Salzkarawane unterwegs, Foto: agrosse, fotolia.com

Mit einer Salzkarawane unterwegs
© agrosse, fotolia.com

Die historischen Stätten von Axum nahm die UNESCO 1980 in die Liste des Weltkulturerbes auf. Auch das vorher besuchte Simien-Gebirge hat Welterbestatus (1978) und ebenso unser nächstes Ziel Lalibela, die Stadt mit den elf Felsenkirchen. Wir nehmen für diese Etappe das Flugzeug, um eine zeitraubende und ziemlich strapaziöse Fahrt über mehr als 3.000 m hohe Pässe, durch terrassierte, tief eingefurchte fruchtbare Täler und über kahle Hochebenen zu vermeiden. Der historische Ort in 2.600 m Höhe wurde nach dem bedeutenden Kaiser der Zagoué-Dynastie, Gebra Maskal Lalibela, benannt. In den vierzig Jahren seiner Regentschaft Ende des 12./Anfang des 13. Jahrhunderts versuchte er seinen Traum von einem zweiten Jerusalem zu verwirklichen. Hunderte frommer, williger Arbeiter machten sich daran, mit einfachen Werkzeugen senkrecht in den roten Vulkanfels einzudringen, einen gewaltigen Würfel aus der umgebenden Felsformation freizulegen, ihn auszuhöhlen, innen auszustatten und außen zu verzieren. So entstanden elf Kirchen, vier völlig freistehend, nur an ihren Basen mit dem Fels verbunden, andere blieben auf der einen oder anderen Seite mit dem Fels verschmolzen. Unterirdische Gänge verbinden die Kirchen miteinander. Ein schmaler Lichtstrahl aus winzigen Fenstern lässt das Innere im Halbdunkel. Priester zeigen die Schätze der Kirche, silberne Zeremonienkreuze etwa oder uralte, in Ziegenleder gebundene Bibeln. Der Ort strahlt Ruhe und Gelassenheit aus. Besucher aus dem fernen Europa sind tief beeindruckt. Für die gläubigen Äthiopier ist Lalibela ein heiliger Ort. An Festtagen wird er von Pilgern überschwemmt.   
Mit dem Flugzeug geht es zurück an den Ausgangspunkt der Rundreise, nach Addis Abeba.

Unterwegs im unwirtlichen Osten

Ein für äthiopische Verhältnisse „kurzer“ Abstecher führt auf guter Straße durch Savannenlandschaft in den 900 m hoch gelegenen Awash Nationalpark rund 200 km östlich der Hauptstadt. Es kann heiß werden, doch nachts ist es angenehm kühl. Der Awash-Fluss mit imposanten Wasserfällen durchfließt den Park, wendet sich dann nach Norden, um schließlich in den unwirtlichen Weiten der Danakil-Ebene zu versickern. Einige felsbestückte Flusskilometer laden zu „rafting-trips“ ein und heiße, unglaublich blaue Quellen zum Abspülen des Tagesstaubs. Der zur Zeit „schlafende“ Fantale-Vulkan überragt mit seinen 2.007 m die Szene. An seiner Südflanke erkennt man noch die erstarrten Lavaströme des letzten Ausbruchs im Jahre 1820. Im offenen und im Buschgelände leben zahllose Gazellen- und Antilopenarten und an den Ufern und im Wasser des Awash-Flusses lagern Hippos und Krokodile. Mit etwas Glück bekommt man Löwe und Leopard, Serval, Karakal und Wildkatze zu Gesicht. Mehr als 400 Vogelarten wurden gezählt, darunter typische Wasservögel wie Pelikane, Reiher, Kormorane, Flamingos, aber auch Strauße, Schlangenadler, Geier und der endemische Gelbkehlgirlitz.

Zurück in Addis Abeba beginnen die Vorbereitungen für eine nicht ganz unproblematische Exkursion in den Osten und Nordosten des Landes, zunächst in die Stadt Harar und weiter in die Danakil-Ebene, wo das Volk der Afar zu Hause ist.
In einer knappen Stunde erreicht die „Ethiopian“-Maschine Dire Dawa. Von dort bringt uns der Geländewagen in das nahe Harar, einst Knotenpunkt bedeutender Handelswege und Zentrum islamischer Gelehrsamkeit. Die Stadt liegt auf einem Hochplateau und ist von Wüsten und Savannen umgeben. Zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert entstand die vier Meter hohe und 3.300 m lange Mauer, die die Stadt vollständig umschließt, durchbrochen nur von einer Handvoll Stadttoren. Eine  besondere Ausstrahlung erhält Harar durch die äußere Gestalt und die Innenarchitektur ihrer Stadthäuser. Hier werden afrikanische und islamische Einflüsse sichtbar, die seinerzeit auch die Stadtanlage bestimmt haben. In den engen, gewundenen Gassen haben mehr als 80 Moscheen ihren Platz gefunden (drei von ihnen stammen aus dem 10. Jahrh.) und mindestens 100 Heiligenschreine, erkennbar an ihrer weißen Kuppel. Nicht ohne Grund wird Harar als „madinat al-awliya“ (Stadt der Heiligen) bezeichnet, was für die religiöse Tradition der Stadt steht, in der auch heute noch die Heiligenverehrung einen hohen Stellenwert besitzt. Womit Besucher am wenigsten rechnen, ist hier auf ein Rimbaud-Museum zu stoßen. Es erinnert an den Aufenthalt des Franzosen in den 1880er Jahren, nachdem er mit 21 Jahren das Schreiben aufgegeben hatte und sich an etlichen afrikanischen Plätzen als Gold-, Fell- und Waffenhändler versuchte. Gepriesen wird die Qualität des Kaffees, der hier in einer der Hauptanbauregionen des Landes geerntet wird, auch Bananen gedeihen prächtig. Ein Foto von 1883 zeigt Rimbaud in Harar unter den Blättern einer Bananenstaude. Vermutlich wichtigster Wirtschaftsfaktor aber ist der rege Handel mit der Khat-Droge. 

Äthiopien: Foto: Vulkanisator, fotolia.com

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Gut 550 km auf schlechten Straßen und Wüstenpisten sind zu bewältigen, um das Gebiet der Afar-Nomaden zu durchqueren und deren Hauptort Logiya zu erreichen. Afars gelten als schwierig im Umgang, sind leicht reizbar und greifen schnell zur Waffe. Es sind also Offenheit und Zurückhaltung angesagt und die Kameras bleiben bis auf weiteres  unter Verschluss. Für die Weiterfahrt sind Formalitäten zu erledigen, dann kann das Abenteuer beginnen. Erstes Ziel: die Salinen von Afdera am gleichnamigen Salzsee, seit Jahrhunderten ein Salzgewinnungsgebiet. Für die Afars ist neben Viehzucht (Ziegen, Kamele) der Transport der Salzbarren auf dem Rücken ihrer Kamele in das äthiopische Hochland ein wichtiger Erwerbszweig. Die Afar-Senke, auch Danakil-Senke genannt, breitet sich am nördlichen Ende des Ostafrikanischen Grabenbruchs über 150.000 km² aus und reicht bis in die Nachbarländer Eritrea und Dschibuti hinein. Drei aktive Grabenbrüche treffen in dieser geologisch hochaktiven Region aufeinander.

Das Untere Awash-Tal ist der Fundort von „Lucy“. Ihre 52 Skelettfragmente erlauben Rückschlüsse auf die Evolution der Familie der Primaten. Die wichtigste Entdeckung ist Lucy`s aufrechter Gang, ihre schon damals bipedische Fortbewegung. Die zum Weltkulturerbe zählende paläanthropologische Schatzkammer in der unwirtlichen Afar-Senke umfasst gleich mehrere Lokalitäten. Neben hominiden Relikten wurden seit 1974 auch versteinerte Überreste von Tieren im Sedimentgestein freigelegt. Die „Afar“ zählt zu den weltweit tiefst gelegenen Gebieten. Sie ist knochentrocken, ständig bebt die Erde. Temperaturen an die 50 Grad sind keine Seltenheit und dennoch ist sie ein Faszinosum ohnegleichen, belebt nur von Kamelkarawanen und einsamen Hirten, die ihre Tiere durch die Ödnis treiben, umspielt von den grellen Farben der Schwefelformationen, hinter denen heiße Quellen rumoren, dick verkrustete Salzpfannen bis zum Horizont reichen, der aktive Vulkan Erta Ale in seiner Caldera einen feurigen Lavasee zum Brodeln bringt, aus dem glühend rote Fontänen in den nächtlichen Himmel aufsteigen.

Äthiopien: Unterwegs im Süden des Landes, Foto: lino beltrame, fotolia.com

Unterwegs im Süden des Landes
© lino beltrame, fotolia.com

Im „Museum der Völker“

Die Reise in birgt eine Reihe Überraschungen. Es wird feuchter, die Vegetation üppiger. Ohne Geländefahrzeug ist kein Fortkommen und Komfort darf nicht erwartet werden. Es ist eine wenig entwickelte und nur selten besuchte Region, in der mancherorts die Zeit still zu stehen scheint. Viele der rund vierzig kleinen Ethnien des Südens haben ihre ursprüngliche Lebensweise bewahrt, pflegen ihre für uns oft rätselhaften Rituale und Bräuche. Am auffallendsten ist ihre ausgeprägte Vorliebe für einen phantasievollen und farbenfrohen Körperschmuck. Die kulturelle Vielfalt in diesem „Museum der Völker“, wie die Südregion oft genannt wird, ist atemberaubend. Nicht weniger beeindruckend sind die großartigen Landschaften und der Tierreichtum der großen Nationalparks.

Die Route in den Süden führt durch den Äthiopischen Grabenbruch vorbei an einer Kette reizvoller Seen, dem Ziway- in 1.800 m Höhe, über den Langano-, den Shala- (in einer vulkanischen Caldera) bis zum Abaya- und Chamo-See in 1.200 m Höhe. Hochland-Grasflächen mit vereinzelten Waldbeständen folgt großflächig die Savanne und im Südwesten laubabwerfendes Waldland und ein Streifen Busch- und Dorn-Vegetation.

In Höhe des Ziway-Sees kann man einen Blick in eine weit zurückliegende Zeit richten, in die megalithische Epoche Äthiopiens, die freilich nicht präzise bestimmt werden kann. Man hält die Fundstätte Tiya für einen Begräbnisplatz. Die vielen Gräber im Gelände sprechen dafür und natürlich die Stelen. 36 von ihnen reihen sich zu einer Gruppe auf, 32 zeigen rätselhafte Eingravierungen oder Halbreliefs (man denkt an das Abbild von Schwertern und an Menschendarstellungen). Die bis zu 5 m hohen Stelen markieren die Spuren einer sehr alten äthiopischen Kultur, die man in dieser besonderen Ausprägung nirgendwo sonst entdeckt hat. Viel mehr weiß man aber heute nicht. Tiya steht auf der Liste des Weltkulturerbes.

Etwas abseits der Hauptverbindung in den Süden liegt der Bale Nationalpark. Von 1.500 m Höhe steigt er bis auf 4.377 m an. In den tiefer gelegenen Wäldern dominieren Nadel- und Wacholderbäume, darüber sind es Riesendisteln, Erikabäume, Liliengewächse, Johanniskrautstauden und ganz oben breiten sich Moore voller Heidekraut aus. Allein 16 endemische Vogelarten sind hier heimisch, darunter Klunkeribis, Taranta-Papagei, Blauflügelgans. Neben Affen, Warzenschweinen und vielen Antilopenarten bekommt man mit ein wenig Glück den Äthiopischen Wolf und den nicht minder gefährdeten Bergnyala zu Gesicht. Im Park ist Camping erlaubt. 

Äthiopien: Foto: Harald Lange, fotolia.com

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Von Arba Minch inmitten fruchtbarer Getreideäcker am Abaya- und Chamo-See lohnt ein Abstecher zum Nechisar Nationalpark, den seine weiten Gras-Savannen zu einem Eldorado für Gazellen und Antilopen (darunter der endemische Swayne`s Hartebeest), Warzenschweine, Steppenzebras und ihre Jäger machen. Am benachbarten Chamo-See lassen sich Flusspferde und riesige Nil-Krokodile beobachten.

In der südwestlichen Provinz Kaffa, der unser Kaffee seinen Namen verdankt, werden noch immer Kaffeebohnen von wilden Sträuchern geerntet. Es ist aromatischer Hochlandkaffee von überragender Qualität. In dieser Gegend siedeln die Kaffecho, Bench und Gurage. Andere Völker nennen sich Hamar, Karo oder Konso, Tsemaye, Erbore und Dassanetch. Sie sind Meister im Bau bienenstockartiger Häuser, weben feinstes Baumwolltuch, arbeiten hart als Ackerbauern die einen, als Nomaden die anderen. In rituellen Stockkämpfen demonstrieren sie Mut und Standfestigkeit und bauen zugleich Spannungen in ihrer Gemeinschaft ab. Sie springen über eine Gruppe Ochsen und wenn sie dabei nicht zu Fall kommen, haben sie den Übergang zum Erwachsenenalter geschafft. Markttage in der Region sind eine gute Gelegenheit, ihnen beim Handeln zuzusehen und sie dank ihrer Haartracht und Körperbemalung unterscheiden zu lernen. Die einen geben ihrer dunklen Hautfarbe durch Fett einen rötlichen Schimmer und manche Stämme traktieren ihre Haut mit Wunden, deren Narben Muster ergeben und einen Schutz gegen allerlei Unbilden versprechen. Andere bemalen ihre Körper mit Leopardenmustern, verzieren ihre Haare mit einer Mischung aus Kalk, Erde und Butter oder mit einer farbig bemalten Lehmpaste, in die sie eine Straußenfeder stecken. Am befremdlichsten ist wohl das Schmuckideal der Mursi-Frauen. In die Unterlippe wird ein Loch gebohrt und ständig gedehnt, indem immer größere Tonscheiben in das Loch eingesetzt werden, bis sie einen Durchmesser von 12 oder gar 15 Zentimeter erreichen. Es heißt, dieser Schmuck verleihe den Mursi-Frauen Stolz und hohes Ansehen und steigere den Brautpreis.

Äthiopien: Im Omotal Foto: lino beltrame, fotolia.com

Im Omo Tal
© lino beltrame, fotolia.com

Das Volk der Mursi lebt am Rande des Mago Nationalparks. Sein weites Grasland erstreckt sich am Omo-Fluss. Gnus, Giraffen, Elefanten, Antilopen und Steppenzebras haben hier ihren Lebensraum, Löwen und Leoparden ein üppiges Jagdrevier. Der Omo entspringt im afro-alpinen Klima des äthiopischen Hochlands  und schlängelt sich rund 1.000 km hinunter in das versengte und versteppte Land am Turkana-See, dessen einziger Zufluss er ist. Weiter nördlich, im Omo Nationalpark, ist er noch fischreich und voller Krokodile und Flusspferde. Mit über 4.000 km² ist der 1959 eingerichtete Park das größte und eines der ursprünglichsten Schutzgebiete Äthiopiens. Durch seine Busch- und Grassavanne ziehen große Büffelherden, man sieht Giraffen und Elefanten, Elenantilopen,  Topi-Antilopen, Giraffengazellen und wer etwas Ausdauer mitbringt, wird auch Löwen, Leoparden und Hyänen und vielleicht sogar einen Geparden bei einer seiner rasenden  Jagden zu Gesicht bekommen.

mehr zu: Welt(kultur)erbestätten in Äthiopien

Das Untere Omo Tal (Weltkulturerbe) gehört zu den bedeutenden vorgeschichtlichen Fundorten. Hominide Fossilien und Steinwerkzeuge (die ältesten bisher bekannten) sowie die steinernen Relikte eines Lagerplatzes (auch diese einzigartig) wurden hier in den 30er und 60er/70er Jahren des letzten Jahrhunderts von Paläontologen und Prähistorikern freigelegt. Man schätzt das Alter der Fundstücke auf 2,4 Mio. Jahre.

Eckart Fiene


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