Reiseführer Prag: Die Josefstadt vor der Sanierung

In den Elendsvierteln von Prag

Die Josefstadt vor der Sanierung

"Das verrottete Straßenpflaster war mit widerlichen Abfällen bedeckt, dazwischen befanden sich überall stinkende Pfützen und Rinnsale. Tausende von Ratten hatten in diesen Gäßchen ihre Heimat gefunden. Weil das Viertel keine Kanalisation hatte, war die Luft von pestilenzialischen Dämpfen erfüllt. In den Toreingängen verrichteten halbbekleidete Frauen ungeniert ihr Bedürfnis, und an heißen Tagen, wenn ihnen in ihren Höhlen zum Ersticken zumute war, gingen sie auf die Straße ihre Kinder entlausen. An den warmen Abenden pflegten die Bewohner dieser Behausungen vor den Haustoren auf Bänken zu sitzen und mit den Nachbarn von gegenüber zu schwatzen. Es gab kein Familiengeheimnis, das nicht sogleich von Fenster zu Fenster, von Tor zu Tor, vom Balkon in die Hinterhöfe geflogen wäre.

Doch werfen wir einen Blick ins Innere dieser schimmligen Löcher, wo uns zunächst Gestank und Schmutz aller Art begrüßen. Die wenige Quadratmeter großen Zimmer waren mittels Bindfäden oder Kreidestrichen auf dem Fußboden in kleinere Areale unterteilt, und auf diesen winzigen Plätzchen wohnten Personen unterschiedlichen Alters und Geschlechts beieinander, die sich vielleicht im Wirtshaus oder im Zuchthaus kennengelernt hatten, rückfällige Betrüger oder Bankrotteure, die in anderen Teilen Prags einst luxuriös ausgestattete große Wohnungen besessen haben mochten. Hier war jedes Zimmer nur ein Mauseloch, wo vermodernde Strohsäcke oder Tische als Lagerstätten dienten. Zwischen den Kreideabgrenzungen drängten sich kranke Alte und Kinder zusammen; Huren und verliebte junge Ehepaare, und vor aller Augen wurden Kinder geboren. Wenn nach Sonnenuntergang auch noch die Mitbewohner heimkamen, die tagsüber auf den Straßen bettelten, war die Überfüllung komplett."

Aus: "Magisches Prag" von Angelo Maria Ripellino


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