Reiseführer Prag: Die Altstadt um 1600

"Für einen, der wie der Georg Kaplir seine Tage im Berauner Kreis verbrachte, gab es in der Prager Altstadt vielerlei zu sehen. Der spanische Gesandte fuhr in seinem Galawagen, von Hartschierern und Hellebardieren geleitet, zum erzbischöflichen Palais. Im Wacholdergäßlein sprach ein närrischer Bettler die Vorübergehenden mit den Worten um ein Almosen an, er nehme alles: Dukaten, Dublonen, Rosenobels und Portugalöser, nichts sei ihm zu gering. In der Teynkirche wurde unter großem Gepränge die Taufe eines Mohren, der zur Dienerschaft des Grafen Kinsky gehörte, vollzogen, und der hohe Adel Böhmens drängte sich zu diesem Schauspiel. Die Buchdrucker und die Zeltmacher, die beide an diesem Tage ihr Innungsfest hatten, begegneten einander in der Plattnergasse mit ihren Fahnen und gerieten in Streit, weil keiner der beiden Züge dem anderen den Weg freigeben wollte. Auf dem Johannesplatz hielt ein Kapuzinermönch eine Ansprache an die Moldaufischer, in der er sagte, er sei auch ein Fischer, das Miserere sei eine lange Rute, an der hänge das Paternoster als eine goldene Angel, und das De profundis, der Toten liebste Speise, sei der Köder, und damit zöge er die armen Seelen wie Karpfen oder Weißfische aus dem Fegefeuer. Und vor einer Schenke auf dem Kreuzherrnplatz waren zwei Schlächtermeister aneinander geraten, weil der eine das Pfund Schweinefleisch um einen Heller billiger hergab als der andere."

Aus: "Nachts unter der steinernen Brücke" von Leo Perutz


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