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Reiseführer Nordzypern

Ein „Goldenes Jahrhundert“

Der Fall von Akkon (im heutigen Israel gelegen) bedeutete für die Europäer das Ende ihres ehrgeizigen Vorhabens, christliche Staaten inmitten eines feindlichen, muslimischen Umfelds am Leben zu erhalten. Wer die Entscheidungsschlacht 1291 überlebt hatte oder sich rechtzeitig absetzen konnte, brachte sich nach Zypern in Sicherheit. Zurück blieben die Toten und die Trümmer einer Stadt, die einst 35.000 Menschen aus aller Herren Länder beherbergt hatte. Zu ihnen gesellten sich Pilger und Kreuzfahrer, die Seeleute der Handelssegler im Hafen und rund 800 Ritter der verschiedenen Orden mit ihren 14.000 Mann Fußvolk.

Stadtplan von Akkon
Mittelalterlicher Plan von Akkon

Die aus Akkon geflohenen fränkischen Adelsfamilien, die Ritter, Kleriker und Beamten, die Offiziere, Kaufleute und Handwerker und nicht zuletzt zahlreiche arabischsprachige Angehörige orientalischer Kirchen übertrugen das für die Kreuzfahrerstaaten so charakteristische Mosaik ständischer, religiöser und ethnischer Strukturen auf Zypern. Freilich, wer kein Handwerker oder Kaufmann war, hatte anfangs Mühe, in seiner neuen Heimat Fuß zu fassen. So gab es namhafte Adelsfamilien, die auf Unterstützung durch das Königshaus oder die Ritterorden angewiesen waren. Andere wiederum hatten rechtzeitig vorgesorgt: Feudalherren, die Ritterorden und das eine oder andere Kloster nutzten schon seit Jahren die nahe Insel als Ausweichwohnsitz und Kapital-Fluchtort. Ihre hier erworbenen Ländereien und Immobilien und das in Handelsgeschäfte geflossene Geld trugen entscheidend zum Wirtschaftsboom der kommenden Jahrzehnte bei.

Quellen des Reichtums

Rückgrat der zyprischen Wirtschaft war der Agrarsektor. Hier arbeitete die große Mehrheit der Inselgriechen. Weizen und Gerste zählten zu den wichtigsten Exportgütern, gefolgt vom Salz aus den Salinen von Larnaca, dessen Verwertung traditionell in den Händen des Königshauses lag und auch in späteren Jahrhunderten ein Monopol der Herrschenden blieb. Und neue lukrative Kulturpflanzen wie das Zuckerrohr und die Baumwolle kamen hinzu. Flüchtlinge aus den früheren Kreuzfahrerstaaten hatten sie eingeführt und ihre Kultivierung forciert. So begann in jener Zeit die Baumwolle ihren Siegeszug von Zypern bis in das ferne englische Lancashire und halb Europa bezog seinen Zucker von der Insel. Führender Produzent der süßen Kostbarkeit war der Johanniter-Orden. In seiner Großkommende Kolossi nicht weit von Limassol errichtete er ein Zuckerimperium, das zur technologisch führenden und ertragreichsten Produktionsstätte der Insel aufstieg. Der italienische Reisende Pietro Casola notierte 1494 nach einem Besuch in Kolossi, es werde dort soviel Zucker hergestellt, „dass ich glaube, die ganze Welt müßte daran genug haben.“ In ihrer unmittelbaren Nachbarschaft, im Gebiet von Episkopi, besaß die tief in die zyprische Innenpolitik verstrickte venezianische Bankiers- und Kaufmannsfamilie Cornaro ausgedehnte Zuckerrohrplantagen, und natürlich war auch die königliche Lusignan-Familie Eigner von Pflanzungen und Raffinerien. Zucker, besonders der vielgerühmte „polvere di Cipro“ (Puderzucker), wurde zum Exportschlager. Nicht anders der Wein, vor allem die süßen Sorten, die im Abendland als „Zypernwein“ hochgeschätzt waren. Keinem geringeren als König Richard Löwenherz legt man den Ausspruch in den Mund: „Ich muß zurück nach Zypern – und sei es nur, um dort wieder Wein zu trinken!“ Und schließlich hochwertige Stoffe wie der vielgefragte Brokat (schweres, mit Goldfäden durchwirktes Seidenzeug) und ein Camelot genannter Stoff aus Angorawolle oder weißen Kamelhaaren, der so kostbar war, dass selbst der Mamluken-Sultan in Kairo nach seinem Rachefeldzug gegen die Insel große Mengen davon für seine persönliche Garderobe als Tributzahlung von den Zyprern einforderte.

Wappen aus der Zeit der Lusignans
Wappen aus der Zeit der Lusignans

Zweites wirtschaftliches Standbein der Insel war ihre einträgliche Rolle als Knotenpunkt internationaler Handelsrouten. Spektakuläre Geschäfte mit exotischen Gütern, die Zyperns Hafenstädten und hier vornehmlich Famagusta zu legendärem Reichtum verhalfen, waren an der Tagesordnung. Zeitgenössische Reisende versuchten den für Europäer schier unfaßbaren Glanz und Luxus in Worte zu fassen wie etwa um 1340 der deutsche Pilger Ludolf von Sudheim, der sich „auf der edelsten und berühmtesten und auch reichsten Insel“ wähnte, „der keine in allen Meeren gleichkommt . . . hier sind Fürsten, edle Herren, Ritter und Bürger die reichsten, die es in der Welt gibt“.

Jahrhunderte später wurde noch einmal die große Zeit Famagustas in Erinnerung gerufen, als Gabriele d`Annunzio ein Melodram im Zypern der Lusignans ansiedelte und in seinen Bühnenanweisungen ein fulminantes Bild des mittelalterlichen Famagusta entwarf:

„…Da ist die Pier von Famagusta mit Galeeren und Seglern…über dem Gewirr der Masten, Rahen, Flaggen und Wimpel…erkennt man Warenlager und Geschäfte, überwölbte Passagen, die stattlichen Häuser der Nationen mit ihren Privilegien…ein Gewimmel von feilschenden Kaufleuten, Schiffskommandanten, Maklern, Geldwechslern, Schiffsbefrachtern, Schreibern, Soldaten und Herolden… Armenier und Syrer, Nestorianer und Jacobiten, Samaritaner und Juden, Katalanen und Araber aus Spanien, Sizilianer und Napolitaner, Florentiner und Pisaner, Venezianer und Genuesen, Menschen aus dem Languedoc und der Provence, Levantiner und Ponentiner: Sie alle bevölkern den Freihafen Famagustas, der die Atmosphäre eines Marktes in Aleppo oder Damaskus atmet . . . Man entdeckt Waren, die von den Messen der Champagne stammen und andere, die in Regensburg oder Nürnberg verzollt wurden . . . Das Holz der Aloe wird gehandelt und das ebenso kostbare Sandelholz, Ballen von Kautschuk und Elfenbein wechseln den Besitzer, es wird um Zimt, Kardamom, Gewürznelken, Indigo, Safran und Pfeffer gefeilscht, aus Indien und China kommen Goldfäden und Seidenstoffe aus Douai im Norden Frankreichs, glänzendes Baumwollflanell von Webern am Nil und feines Leinen aus Rheims . . . Gold, Silber, Edelsteine, Perlen, Goldmünzen aus Byzanz, florentinische Goldgulden, Dukaten…“

Und zu dieser Szenerie paßt, was einem französischen Essayisten über das Zypern des „Goldenen Jahrhunderts“ durch den Kopf ging: „Das Königreich besaß eine komplexe und verführerische Zivilisation, abwechselnd mystisch und verdorben, zugleich gierig auf Vergnügungen wie auf Verzicht, leidenschaftlich eingenommen für Feste, Abenteuer und fromme Ergüsse, ungeheuer reich durch seinen Handel, voller Luxus, Skandale, Wollust und Tod, alles zusammengenommen: christlich, orientalisch und zutiefst heidnisch“.

Mit den Augen prominenter Zeitgenossen gesehen

Es waren die irritierenden orientalischen Facetten des Inselkönigreichs der Lusignans und seine zugleich leidenschaftlich gelebte Rolle als europäischer Vorposten in der Welt der Muslime, die den Großen der Zeit so viel Gesprächsstoff lieferten. Petrarca etwa, der Frühhumanist, legte in einem Brief an Giovanni Boccaccio seine Sicht der zyprischen Dinge nieder und der Angesprochene erdachte in „Il Decamerone“ (1. Tag, 9. Geschichte), in der kürzesten aller Erzählungen dieses Werks, eine hintergründige Episode um „una gentil donna di Guascogna“, die sich mit dem zyprischen König (vermutlich Guy de Lusignan) berät. Seinem großen Förderer aus dem Hause Lusignan, König Hugues IV. (reg. 1324-1359), widmete Boccaccio die große „Genealogia deorum gentilium“, ein enzyklopädisches Verzeichnis aller Gestalten der griechisch-römischen Mythologie. Hugues Vorgänger, König Henri II. (1285-1324), dem das Prädikat „rex inutilis“ (untauglicher Herrscher) anhing, wurde im Kapitel Paradiso (19, 145-148) der „Divina Comedia“ von Dante Alighieri als „Bestie von Nicosia und Famagusta“ gebrandmarkt und Benvenuto dei Rambaldi da Imola, der einige Jahrzehnte nach Dantes Tod über den großen Poeten an der Universität von Bologna las, äußerte sich in seinem „Comentum super Dantis Aligherii Comoediam“ zur zyprischen Szene so: „Sie (die Herrscher und Kaufleute) übertreffen alle anderen Könige und Völker der Christenheit in ihrem Überfluß an Luxus, ihrer Völlerei und Erschlaffung, ihrer hemmungslosen Verschwendung.“

Der Engländer Geoffrey Chaucer thematisierte die zyprischen Angelegenheiten in „The Monk`s prologue and tale“, dem siebten Fragment seiner großen „Canterbury Tales“ und in François Villons „Ballade des Seigneurs des temps jadis“ wird von einem „Roy de Chippre“ erzählt. Sein Landsmann Guillaume de Machaut errichtete mit „La Prise d`Alexandrie“ König Pierre I. (1359-1369) ein literarisches Denkmal und für den noch jungen König Hugues II. (1253-1267) schrieb Thomas von Aquin den Fürstenspiegel „De regimine principum“, den Tolomeo di Lucca später vollendete.

Wie sich das Königreich organisierte

Die Dynastie der Lusignans konnte sich auf einen „fränkisch“ beherrschten Unterbau stützen, dessen Beziehungen zum Königshaus nicht immer ungetrübt waren, doch wirkte die Institution des feudalen Rats („Haute Cour“), dem alle Lehnsmänner angehörten, mit seinen symbolhaften Handlungen und handfesten Begünstigungen oft genug ausgleichend. Bis weit in das 14. Jahrhundert blieb die Inselaristokratie eine homogene Gruppe aus Nachfahren alter fränkischer Kreuzfahrergeschlechter.

Das in Zypern unter seinen fränkischen Königen eingeführte System feudaler Herrschaft entsprach im Kern der durch das Lehnswesen geprägten hoch- und spätmittelalterlichen Gesellschaftsordnung Europas. Hier wie dort waren König, Hochadel und Kirchenobere sowie Adel, Ritter und Ministeriale und schließlich die Hintersassen durch ein kompliziertes System von Abhängigkeiten, Haftungen und gegenseitigen Treueversprechen aneinander gebunden.

Grabplatten fränkischer Familien Zyperns
Grabplatten von Angehörigen prominenter fränkischer Familien Zyperns in Nicosia

In den Hunderten über die Insel verstreuten Bauerndörfern dominierte das Herrengut unter seinem nahezu allmächtigen Verwalter, dem Bailli, der über Knechte, Lohn- und Gelegenheitsarbeiter, Handwerker und Sklaven gebot. Daneben bewirtschafteten Fronbauern (die schon aus frühbyzantinischer Zeit bekannten Paroikoi, auch pariques oder parici genannt), halbfreie Bauern (die Perperiarii, so genannt nach der byzantinischen Münze Hyperperon, von der sie ihrem Herrn 15 Stück zu zahlen hatten) und freie Bauern (die sog. Eleftheroi, auch francomates oder francomati genannt) ihre Parzellen. Die Bauern der untersten Stufe (Paroikoi) waren praktisch Leibeigene des örtlichen Gutsherrn. Ihm hatten sie eine jährliche Kopfsteuer zu zahlen und ein Drittel ihrer Produkte abzuliefern. Außerdem leisteten sie Hand- und Spanndienste an zwei bis drei Tagen der Woche. Sie unterstanden der nicht selten willkürlich praktizierten Gerichtsbarkeit ihres Herrn.

Die Perperiarii, ehemalige Paroikoi, genossen persönliche Freiheit, mußten aber wie die Fronbauern die oben erwähnte jährliche Abgabe zahlen und ein Drittel ihrer Ernteerträge abgeben. Schließlich die Eleftheroi, die durch Freilassung oder Loskauf das Zwangsregime ihres Herrn abschütteln konnten. Doch waren sie auch jetzt nicht „freie Bürger“, hatten sie doch noch ein Fünftel ihrer landwirtschaftlichen Produkte abzuliefern. Immerhin mußten sie entlohnt werden, falls sie zur Arbeit herangezogen wurden. Auch unterstanden sie der ordentlichen Gerichtsbarkeit und ihre Steuerzahlungen kamen dem königlichen Schatzamt zugute.

Im Zenit

Unter König Pierre I. de Lusignan (reg. 1359-1369), einer der schillerndsten politischen Figuren der spätmittelalterlichen Geschichte, galt Zypern als starke, wohlhabende Regionalmacht (wenn auch mißtrauisch beäugt, wegen des dort vermuteten Sittenverfalls). Unter seinen Nachbarn gefürchtet als aggressiver Unruhestifter, sah man in den Ländern der Christenheit mit Wohlwollen, ja Bewunderung das kleine, heldenhafte Reich seine Rolle als Vorposten im Meer der Muslime spielen und in den phantastischen Kreuzzugsvisionen, mit denen Europas Führer ihr schlechtes Gewissen beruhigten, war das Inselreich eine feste Größe.

Nur: als es zum Schwur kam und Zyperns König selbst die Initiative zur Rückeroberung der christlichen Stätten ergriff, verweigerten ihm die Europäer ihre Unterstützung. Doch unbeirrt startete er zu einer mehrjährigen Werbetour durch Europas Residenzen, von der er bitter enttäuscht und unverrichteter Dinge zurückkehrte.

Das Abendland war irritiert, als der König 1365 in See stach und Kurs auf Alexandria nahm, statt, wie allgemein erwartet, den Angriff gegen die palästinensische Küste zu richten. Die Metropole der Mamluken ging in Flammen auf. Mit unermeßlicher Beute kehrte der König in die Heimathäfen zurück.

Vielleicht hatte er gehofft, mit Alexandria als Faustpfand die Herausgabe des Heiligen Landes erzwingen zu können. Wahrscheinlicher aber ist, dass ganz andere Überlegungen hinter dem brutalen Angriff standen. Heimische Nöte nämlich, hatten doch die demographischen Folgen der Jahrhundertpest das Land in eine Rezession gestürzt, die sich dramatisch zuspitzte, als sich auch noch die Routen des Orienthandels an Famagusta vorbei nach Norden (Schwarzes Meer) und Süden (Rotes Meer, Ägypten) verlagerten. Alexandria war zu einem gefährlichen Konkurrenten geworden. Ihn galt es auszuschalten und die Handelsströme nach Famagusta (wieder) umzuleiten.

Die Antwort der Mamluken auf das ägyptische Abenteuer des Lusignan-Königs ließ lange auf sich warten. Doch nichts war vergessen. Die Planungen brauchten ihre Zeit. Als das Unheil sechzig Jahre später über Zypern hereinbrach, beschleunigte es den Niedergang des angeschlagenen Königreichs.

 


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